Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
dann wäre Lee an der Reihe gewesen. Merrin würde auf die Harvard University gehen und Ig nach Dartmouth auf die University of Massachusetts. Aus den Augen, aus dem Sinn - so jedenfalls hatte Lee die Lage eingeschätzt. Aber es kam anders. Jedes Wochenende machte Ig einen Abstecher nach Boston, um mit ihr zu vögeln und wie ein Hund sein Revier zu markieren.
    Lee war zunehmend davon überzeugt, dass Ig nur noch an ihr festhielt, um sie ihm vorzuenthalten - um seinem Freund auf perverse Art und Weise die eigene Macht zu demonstrieren. Ig war froh, Lee an seiner Seite zu wissen - die Läuterung des Lee Tourneau war während seiner ganzen Schulzeit sein Hobby gewesen -, aber er wollte Lee auch zeigen, dass seine Freundschaft Grenzen hatte. Er wollte nicht, dass Lee vergaß, wer Merrin letztlich erobert hatte. Als müsste Lee nicht jedes Mal daran denken, wenn er sein rechtes Auge schloss und die Welt sich in ein dämmriges Schattenland verwandelte, einen Ort, wo Gespenster durch die Finsternis krauchten und die Sonne ein kalter und ferner Mond war.

    In gewisser Hinsicht nötigte es Lee Achtung ab, dass Ig sie ihm weggenommen hatte, damals, als sie beide gleich große Chancen bei ihr gehabt hatten. Ig hatte diese rote Muschi einfach mehr gewollt als Lee, und unter dem Druck war er über sich hinausgewachsen, hatte sich in jemanden verwandelt, der eiskalt die eigenen Ziele verfolgte. Mit seinem Asthma, der schrecklichen Frisur und dem Kopf voller Bibelgeschichten hätte niemand Ig für skrupellos und durchtrieben gehalten. Lee hatte ihn über zehn Jahre lang beobachtet und war seinem Beispiel gefolgt. Dabei hatte er gelernt, wie man sich harmlos gab und andere Menschen in Sicherheit wiegte. Mit einem ethischen Dilemma konfrontiert, fragte sich Lee stets: Was würde Ig jetzt tun? Die Antwort bestand in der Regel darin, sich selbst zu erniedrigen, um dann umgehend etwas völlig Überflüssiges, aber Nettes zu tun. Lee hatte von Ig gelernt, auch dann einen Fehler einzugestehen, wenn er gar keinen begangen hatte, auch dann um Vergebung zu bitten, wenn es gar nicht nötig war, und stets so zu tun, als wollte er die Dinge gar nicht, die er sich verdient hatte.
    Für kurze Zeit, als er fünfzehn war, hatte sie rechtmäßig ihm gehört. Ein paar Tage lang hatte er Merrins Kreuz um den Hals getragen, und wenn er sich das Kreuz damals an die Lippen presste, stellte er sich vor, er würde es küssen, während sie es trug - das Kreuz und sonst nichts. Aber dann ließ er sich das Kreuz und die Chance, sie für sich zu gewinnen, durch die Lappen gehen, weil es etwas gab, was ihm mehr bedeutete, als sie blass und nackt in der Dunkelheit zu sehen - er wollte erleben, wie etwas in die Luft flog, er wollte eine Explosion hören, die so laut war, dass ihm die Ohren klingelten, er wollte sehen, wie ein Auto in Flammen aufging. Der Caddy seiner Mutter vielleicht, während sie
darin saß. Allein bei der Vorstellung fing sein Puls an zu rasen, und damit konnten es auch seine Phantasien von Merrin nicht aufnehmen. Also opferte er sie und schloss einen Pakt mit Ig. Es war ein Pakt mit dem Teufel gewesen, der ihn nicht nur das Mädchen gekostet hatte, sondern auch sein Auge. Dahinter verbarg sich irgendeine Bedeutung. Lee hatte einmal ein Wunder gewirkt, hatte den Himmel berührt und den Mond festgehalten, bevor er herunterfallen konnte, und seither forderte ihn Gott ständig auf, auch andere Dinge in Ordnung zu bringen. Er konfrontierte ihn mit streunenden Katzen und Kreuzen, Wahlkampagnen und senilen alten Frauen. Und wenn er die Dinge in Ordnung gebracht hatte, gehörten sie ihm, und er konnte damit machen, was er wollte. Nur ein einziges Mal hatte er sich dieser Aufforderung entzogen und war dann wie zur Mahnung daran, so etwas nicht noch einmal zu tun, geblendet worden. Und jetzt hatte er das Kreuz ein zweites Mal erhalten, und wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass Merrin und er zusammengehörten, dann hielt er ihn nun in Händen. Er war sich sicher, dass er das Kreuz reparieren und sich um Merrin kümmern sollte. Vielleicht ging es ja einfach nur darum, sie aus Igs Klauen zu befreien.
    Lee hatte sich den ganzen Sommer über von Merrin ferngehalten, aber dann schickte ihm Ig eine E-Mail aus New York, die einer Einladung gleichkam:
     
    Merrin braucht ihre Kommode, hat aber kein Auto, und ihr Vater muss arbeiten. Ich hab ihr gesagt, sie soll dich fragen, aber sie meint, du wärst nicht ihr Knecht. Wir beide wissen das besser, also bring

Weitere Kostenlose Bücher