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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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umzubringen.« Lee kniff die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen. »Ich glaube nicht, dass ich jemanden kenne, der so geil auf den Tod ist wie du.«
    »Ich bin zäher, als ich aussehe«, sagte Ig. »Wie eine Kakerlake.«
    »AC/DC hat mir gefallen«, sagte Lee. »Wenn man jemanden killen will, ist das unbedingt der richtige Soundtrack.«
    »Was ist mit den Beatles? Hast du Lust bekommen, jemanden zu erschießen, als du ihre Platten gehört hast?«
    Lee dachte einen Moment konzentriert nach. »Mich selbst?«
    Ig musste wieder lachen. Lees Geheimnis bestand darin, dass er einen eigentlich nie zum Lachen bringen wollte; er schien gar nicht zu verstehen, dass das, was er da sagte, komisch war. Er wirkte stets völlig beherrscht und war von einer Aura gläserner, unerschütterlicher Coolness umgeben, die Ig an einen Geheimagenten denken ließ, der in einem Film einen Raketensprengkopf entschärfte - oder einen programmierte. Er lachte nie, weder über seine eigenen Witze noch über die von Ig - als wäre er ein Wissenschaftler von einem fremden Planeten, der auf die Erde gekommen war, um die Gefühle der Menschen zu erforschen - wie Robin Williams als Mork vom Ork.
    Ig lachte zwar, aber er war auch erschüttert. Die Beatles nicht zu mögen war fast so schlimm, wie sie nicht zu kennen.
    Lee sah offenbar die Enttäuschung, die Ig ins Gesicht geschrieben stand, und sagte: »Ich geb sie dir zurück. Du solltest sie wiederhaben.«
    »Nein«, sagte Ig. »Behalte sie, und hör sie dir noch ein paarmal an. Vielleicht findest du ja was, das dir gefällt.«

    »Ein paar Sachen fand ich schon okay«, sagte Lee, aber Ig wusste, dass er log. »Das eine Stück …« Doch dann verstummte er, und Ig musste raten, welches der vielleicht sechzig Stücke er meinte.
    Und Ig wusste es. »›Happiness Is a Warm Gun‹?«
    Lee deutete mit dem Finger auf ihn, spannte seinen Daumen und drückte ab.
    »Was ist mit den Jazz-Sachen? Hat dir denn davon was gefallen?«
    »Irgendwie schon. Weiß nicht. So richtig konnte ich das nicht hören.«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich hab immer wieder vergessen, dass es lief. Wie bei der Musik im Supermarkt.«
    Ig lief ein Schauder über den Rücken. »Und? Wirst du jetzt Berufskiller, wenn du erwachsen bist?«, fragte er.
    »Warum?«
    »Weil dir nur Musik gefällt, zu der man Leute killen könnte.«
    »Nein. Ich finde nur, dass sie passen muss. So als Hintergrund zu dem, was man gerade tut. Ist sie nicht dafür da?«
    Ig wollte sich nicht mit Lee streiten, aber seine Ignoranz tat ihm in der Seele weh. Hoffentlich würde Lee, wenn sie erst ein paar Jahre befreundet waren, verstehen, was Musik wirklich war: Sie war wichtig, lebenswichtig. Man hörte Musik, um dem stumpfen Alltag zu entfliehen, um etwas zu spüren, um all die Gefühle auflodern zu lassen, die man nicht empfand, wenn man zur Schule ging oder fernsah oder nach dem Essen die Geschirrspülmaschine einräumte. Ig vermutete, dass Lee, weil er in einem Trailerpark aufgewachsen war, eine ganze Menge toller Sachen verpasst hatte. Er würde einige Jahre brauchen, um das alles aufzuholen.

    »Was willst du dann machen, wenn du erwachsen bist?«, fragte Ig.
    Lee stopfte sich den Rest seines Sandwiches in den Mund und sagte: »Ich möchte Kongressabgeordneter sein.«
    »Echt wahr? Und dann?«
    »Ein Gesetz schreiben, in dem steht, dass verantwortungslose Schlampen, die Drogen nehmen, sterilisiert werden müssen, damit sie keine Kinder bekommen, um die sie sich dann nicht kümmern«, sagte Lee mit ausdrucksloser Stimme.
    Ig hatte sich schon öfter gefragt, warum Lee nie über seine Mutter sprach.
    Lees Hand glitt zu dem Kreuz, das er um den Hals trug und das direkt über seinem Schlüsselbein hing. Nach einer Weile sagte er: »Ich hab über sie nachgedacht. Über das Mädchen aus der Kirche.«
    »Das glaub ich gern«, sagte Ig bemüht gelassen. Aber es klang schroff und verärgert.
    Lee schien das nicht aufzufallen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Wetten, die ist nicht von hier? Ich hab sie sonst noch nie in der Kirche gesehen. Wahrscheinlich hat sie nur Verwandte besucht. Die sehen wir bestimmt nicht wieder.« Er hielt einen Moment inne und fügte dann hinzu: »Sie ist uns tatsächlich entkommen.« Nicht melodramatisch, sondern irgendwie wissend und humorvoll.
    Die Wahrheit steckte Ig im Hals wie ein Stück Sandwich, das nicht runtergehen wollte. Fast wäre es ihm rausgerutscht - nächsten Sonntag kommt sie wieder -, aber er brachte es irgendwie

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