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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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straffällig geworden waren, erlaubte, während der ersten drei Monate abzutreiben, und Lee hatte ihn so aussehen lassen, als forderte er die Todesstrafe für Ungeborene. Lee hatte die Hälfte aller Kirchen im ganzen Staat besucht und Reden darüber gehalten. Wenn er mit seiner Krawatte und dem gebügelten weißen Hemd auf der Kanzel stand, sah er toll aus, und er ließ keine Gelegenheit verstreichen, sich selbst als reuiger Sünder zu bezeichnen. Die Leute fraßen ihm aus der Hand.
    Lees Wahlkampfarbeit hatte auch zu dem ersten und einzigen Streit geführt, den es zwischen ihm und Merrin jemals gegeben hatte, auch wenn Ig sich nicht sicher war, ob es überhaupt ein Streit war, wenn die eine Seite keine Anstalten machte, sich zu verteidigen. Merrin nahm Lee wegen der Sache mit der Abtreibung regelrecht auseinander, aber Lee blieb völlig gelassen und sagte: »Wenn du möchtest, dass ich meinen Job hinschmeiße, Merrin, dann reiche ich morgen meine Kündigung ein. Darüber muss ich keine Sekunde lang nachdenken. Aber solange ich diesen Job habe, mache ich ihn, so gut ich kann.« Sie sagte, Lee habe kein Schamgefühl. Lee erwiderte, dass er manchmal glaube, er habe nichts anderes, worauf sie sagte: »Himmelherrgott, spiel hier jetzt nicht den Betroffenen.« Aber danach ließ sie ihn in Ruhe.
    Natürlich war Lee nicht entgangen, wie hübsch Merrin war. Manchmal hatte Ig gesehen, wie er ihr mit Blicken folgte, wenn sie aufstand und der Rock ihre Beine umspielte. Ig machte das nichts aus. Merrin gehörte ihm. Und außerdem fühlte er sich immer noch irgendwie schuldig, wenn er an Lees Augenverletzung dachte - da konnte er es ihm wohl kaum verübeln, wenn er einer hübschen Frau nachschaute.
Lee sagte oft, dass er bei dem Unfall ebenso gut hätte erblinden können, weshalb er alles genoss, was er sah - als wäre es das letzte Mal. Lee gefiel sich darin, solche Äußerungen zu machen, und er gestand seine Vorlieben und Fehler stets unumwunden ein, ohne Angst, sich lächerlich zu machen. Ganz im Gegenteil: Alle Welt war von ihm begeistert. Seine Kehrtwendung war ein verdammtes Wunder, an dem sich andere ein Beispiel nehmen konnten. Vielleicht würde er sich irgendwann in naher Zukunft selbst um ein politisches Amt bewerben. In dieser Richtung waren bereits hin und wieder Äußerungen gefallen, aber Lee hatte sie stets mit einem Lachen und dem Groucho-Marx-Spruch abgetan, dass er jeden Club meiden würde, der ihn aufnehmen wolle. Auch Caesar hatte die Krone drei Mal abgelehnt, meinte sich Ig zu erinnern.
    Ig verspürte ein sonderbares Pochen an den Schläfen, ein gleichförmiges blechernes Dröhnen, als würde Metall auf Metall schlagen. Er verließ die Interstate und folgte dem Highway zu dem Büropark, in dem der Kongressabgeordnete sein Büro hatte. Es lag in einem Gebäude mit einer keilförmigen Vorhalle, die der Fassade wie ein riesiger Schiffsbug aus Glas vorgelagert war. Ig fuhr zum Hintereingang.
    Der asphaltierte Parkplatz auf der Rückseite war zu zwei Dritteln leer und dampfte in der Nachmittagshitze. Ig schaltete den Motor ab, schnappte sich seinen blauen Nylonanorak vom Rücksitz und stieg aus. Für die Jacke war es eigentlich zu warm, aber er zog sie trotzdem an. Es war ein gutes Gefühl, die Sonne auf dem Gesicht zu spüren, und er genoss die Hitze, die vom Asphalt aufstieg und ihn durchströmte.
    Er öffnete den Kofferraum und klappte die Abdeckung für den Ersatzreifen hoch. Der Schraubenschlüssel war mit
einigen verrosteten Bolzen an der Unterseite einer Klappe fixiert. Als Ig die Bolzen lösen wollte, tat er sich an den Händen weh, also ließ er es bleiben. Stattdessen schaute er in seinen Notfallkasten. Darin befand sich eine Magnesium-Leuchtfackel - ein in rotes Papier gewickeltes Rohr, ölig und glatt. Ig grinste. Eine Leuchtfackel war natürlich viel besser als ein Schraubenschlüssel. Damit konnte er Lees hübsches Gesicht verunstalten. Ihn vielleicht noch auf dem anderen Auge blenden - das war genauso gut, wie ihn umzubringen. Außerdem passte die Leuchtfackel viel besser zu Ig. Wusste nicht jedes Kind, dass Feuer der beste Freund des Teufels war?
    Ig überquerte den schwarzen Asphalt. In diesem Sommer paarten sich die Heuschrecken, und die Bäume hinter dem Parkplatz waren von ihrem Lärmen erfüllt, ein tiefes, hallendes Surren, das Ig an das Geräusch erinnerte, das eine eiserne Lunge machte. Ig hörte es als Rauschen in seinem Kopf - es war der Klang seiner Kopfschmerzen, seines Wahnsinns und

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