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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Kongressabgeordneten. Bis dorthin waren es vierzig Minuten, und Ig hatte Lust auf eine kleine Spritztour. Dabei würde er Gelegenheit haben, sich auszumalen, wie er ihn umbringen würde.
    Erst wollte er die Hände benutzen. Ihn erwürgen, so wie er Merrin erwürgt hatte - Merrin, die Lee von ganzem Herzen geliebt, die ihn getröstet hatte, als seine Mutter gestorben war. Ig umklammerte das Lenkrad, als wäre er bereits dabei, Lee zu erdrosseln, und rüttelte so fest daran, dass die Lenkradsäule auf und ab wippte. Es war ein großartiges Gefühl, Lee zu hassen.
    Sein zweiter Gedanke war, dass er bestimmt noch einen Schraubenschlüssel im Kofferraum liegen hatte. Er könnte seinen Anorak anziehen - er lag auf dem Rücksitz - und den Schlüssel im Ärmel verstecken. Sobald er Lee gegenüberstand, konnte er ihn in die Hand gleiten lassen und ihm eins überziehen. Ig stellte sich das feuchte Knirschen vor,
wenn das Metall auf Lees Schädel krachte, und ein Schauder der Erregung durchfuhr ihn.
    Seine einzige Sorge war, dass es zu schnell gehen und Lee gar nicht kapieren würde, was ihn erwischt hatte. Am liebsten würde Ig Lee dazu zwingen, in den Wagen zu steigen, mit ihm irgendwohin fahren und ihn wie eine Ratte ersäufen. Seinen Kopf unter Wasser halten und zuschauen, wie er zappelte. Bei der Vorstellung musste Ig grinsen. Den Rauch, der ihm dabei aus der Nase aufstieg, bemerkte er nicht. In dem hell erleuchteten Innenraum des Wagens war das nur ein blasser Sommerdunst.
    Nachdem Lee auf seinem linken Auge fast blind geworden war, wurde er sehr still und gab sich Mühe, möglichst nicht aufzufallen. Er leistete in jedem Geschäft, in dem er etwas gestohlen hatte, zwanzig freiwillige Arbeitsstunden ab, ganz gleich, was er dort geklaut hatte - Schuhe für dreißig Dollar oder eine Lederjacke für zweihundert. Er schrieb einen Brief an die Zeitung, in dem er seine Vergehen detailliert beschrieb und sich bei den Ladenbesitzern, seinen Freunden, seiner Mutter, seinem Vater und der Kirche entschuldigte. Er entdeckte den Glauben für sich und beteiligte sich an sämtlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen der Sacred Heart. Außerdem half er zusammen mit Ig und Merrin im Sommerlager Camp Galilee aus.
    Und er hielt in Camp Galilee bei der Messe am Sonntagmorgen eine Gastpredigt. Zu Beginn erklärte er den Kindern stets, dass er ein Sünder gewesen sei, dass er gestohlen und gelogen, seine Freunde ausgenützt und seine Eltern manipuliert habe. Früher, so sagte er, sei er blind gewesen, jetzt aber sehend geworden. Dabei deutete er auf sein halb zerstörtes Auge. Diese Moralpredigt wiederholte er jeden Sommer. Ig und Merrin saßen hinten in der Kapelle, und wenn
Lee auf sein Auge deutete und aus »Amazing Grace« zitierte, bekam Ig immer eine Gänsehaut. Ig war stolz darauf, einen solchen Freund zu haben und an dessen Läuterung sogar beteiligt gewesen zu sein.
    Es war eine teuflisch gute Geschichte. Besonders den Mädchen gefiel sie. Ihnen gefiel es, dass Lee böse gewesen war und auf den richtigen Weg zurückgefunden hatte; ihnen gefiel, dass er über seine eigene Seele sprechen konnte und dass die Kinder ihn mochten. An der Art und Weise, wie er ruhig seine Sünden eingestand, ohne irgendwelche Scham oder Befangenheit zu zeigen, war etwas unerträglich Edles. Den Mädchen, mit denen er ausging, gefiel die Vorstellung, dass sie die einzige Versuchung waren, die er sich gestattete.
    Lee hatte einen Studienplatz an einer theologischen Hochschule in Bangor bekommen, kehrte jedoch nach Gideon zurück, als seine Mutter krank wurde, und kümmerte sich um sie. Inzwischen hatten sich seine Eltern scheiden lassen, und sein Vater war mit seiner zweiten Frau nach Kalifornien gezogen. Lee brachte seiner Mutter ihre Medikamente, zog neue Laken auf, wechselte ihre Windeln und schaute mit ihr fern. Wenn er sie nicht gerade pflegte, ging er auf die University of New Hampshire, wo er einen Abschluss in Medienwissenschaften machte; samstags fuhr er nach Portsmouth, um im Büro des neuen Kongressabgeordneten von New Hampshire zu arbeiten.
    Anfangs tat er dies noch ehrenamtlich, doch als seine Mutter starb, hatte er es bereits zum Vollzeitangestellten gebracht, der die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Schwerpunkt Religion leitete. Viele Leute waren der Meinung, dass der Kongressabgeordnete das letzte Mal überhaupt nur wegen Lee wiedergewählt worden sei. Sein Kontrahent, ein
ehemaliger Richter, hatte einen Erlass unterzeichnet, der es Frauen, die

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