Teuflisch erwacht
Unterbewusstsein stieß eine Warnung aus, aber sie war außerstande, das Pendel loszulassen. Hoffnungslosigkeit kroch die Kette hinauf, fraß sich durch ihre Hand in den Körper und breitete dunkle Schwingen über ihr aus. Cynthia keuchte, versuchte, das Pendel loszulassen und riss sich aus der finsteren Starre. »Das war strange«, stieß sie hervor und sprang erschrocken zurück. Schlagartig fühlte sie sich, als hätte ihr ein rabenschwarzer Strudel die Kraft ausgesaugt. Das Pendel lag auf dem Boden und der Schnee unter dem Anhänger schmolz.
»Was?« Patrick schüttelte verständnislos den Kopf.
»Ich weiß nicht, so was hab ich noch nie erlebt. Jedes Glück war vollkommen weg.« Eine Gänsehaut zog sich über ihren Körper und ihr Herz schlug rasend schnell. Sie war keine Seherin, sondern eine Hexe, aber irgendwas sagte ihr, dass sie einen Blick in die Zukunft geworfen hatte. Oder vielmehr gefühlt.
»Aber ich glaube, du hast ins Schwarze getroffen.« Er deutete auf die Karte. »So sicher war sich das Teil bestimmt noch nie.«
Das Messing hatte ein Loch in die Karte gesengt. Normalerweise brachte es kaum einen Rußfleck zustande.
»Uns erwartet nichts Gutes, Patrick. Ich weiß, dass in Hamburg etwas Schreckliches passiert.«
»Du bist keine Seherin.«
Er tat sie mal wieder als Spinnerin ab. Wann lernte er, auf ihre Intuition zu vertrauen?
»Ich weiß, dass ich nicht in die Zukunft sehen kann. Es war auch kein Bild, bloß ein Empfinden. Aber dermaßen real.« Ihre Stimme bebte.
»Vielleicht sollten wir die Sache abblasen. Lass uns abhauen und die Magier Magier sein.«
Wut boxte gegen den Magen und verscheuchte den Schauder aus ihren Knochen. Das war typisch für Patrick Hosenscheißer. Sie hatte so lang auf diese Möglichkeit gewartet und sollte kurz vor dem Ziel aufgeben? »Auf keinen Fall. Sei nicht so ein Schlappschwanz. Wir haben eine Gabe, um damit etwas zu bewirken. Wenn du bleiben willst, bleib. Wenn nicht, ruf dir ein Taxi und fahr sonst wohin. Aber ich mach mich auf nach Hamburg und helfe dabei, die Fingerless zu erledigen. Sie haben meine Eltern getötet, Patrick.«
Er sah sie an. Seine Miene spiegelte den Kampf wider, der wohl in ihm tobte. Er kniff die Augenbrauen zusammen, seufzte und fuhr sich durchs Haar.
»Bitte komm mit mir«, fügte sie hinzu. Normalerweise schlug er ihr nichts ab. Er liebte sie, viel mehr als sie ihn, und er tat alles, um sie glücklich zu machen.
»Dann lass uns fahren. Stellst du das Navi neu ein?«
Er sprang über seinen Schatten. Vielleicht war er mutiger, als sie ihm zugestand. Cynthia fürchtete sich selten. Sie kannte das Gefühl nicht, ständig gegen die eigene Angst antreten zu müssen. Er hingegen schon und er ging stets als Sieger aus diesem Kampf hervor.
»Danke.« Cynthia hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Patrick faltete die Karte zusammen, steckte das Pendel ein und stieg in den Wagen.
Cynthia atmete tief durch, bevor sie zur Beifahrertür trat. Der Klimawechsel ließ sie schwindeln. In Neapel war es mild gewesen, aber je näher sie Deutschland gekommen waren, desto kälter war es geworden. Sie hauchte auf die Finger und bereute, keinen Wintermantel mitgenommen zu haben. Sie wollte gerade die Tür öffnen, als eine Hand hinter ihr vorschnellte und sie daran hinderte. Cynthias Herz überschlug sich. Patrick saß im Wagen. Wer stand hinter ihr?
»Hexe, ich danke für die Mitfahrgelegenheit.«
Die kalte Stimme hauchte ihr die Worte in den Nacken und die leise Gefahr brannte sich tief in ihr Mark. Sie musste nachsehen, sich umdrehen und beten, dass sich die Befürchtung nicht bestätigte. Cynthia hielt die Luft an, schloss die Augen und drehte sich betont langsam um. Sie tastete Halt suchend zum Wagen, lehnte sich an und hob die Lider. Vor ihr stand der leibhaftige Tod. Eisblaue Augen blitzten ihr entgegen. Er stand so dicht vor ihr, dass es ihr den Atem verschlug und sie vergaß, Luft zu holen.
Wenn die Begabten von ihm sprachen, schilderten sie einen Kerl, der harmlos wirkte und ein bisschen so aussah wie der Traum aller Schwiegermütter. Sie berichteten, dass man ihm die Kälte und Kraft, die er versprühte, nicht zutraute. Die Wahrheit erschütterte sie wie ein Erdbeben. Alles an ihm wirkte aufgesetzt, unnatürlich und gefährlicher als ein hungriger Löwe. Seine Miene schien in Stein gemeißelt und das lodernde Blau seiner Iris besaß kein bisschen Güte. Seine unnatürliche Schönheit rundete das entsetzliche Bild ab. Genauso gut hätte
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