Teuflisch erwacht
es ihr auch unter die Nase halten. Und ohne Miss Graf werden wir auch den jungen Fingerless nicht erwischen. Was glauben Sie, wie viele unschuldige Menschen noch sterben werden, wenn wir diesen Schritt nicht wagen? Unser Job ist es, die Talente zu schützen, nicht die Menschen, die sich dahinter verbergen. Wir haben etwas über sechzigtausend Gaben in Umlauf, Menschen hingegen gibt es wie Sand am Meer.«
»Aber …«
»Walter. Der Mörder Ihres Vaters läuft dort draußen herum und er und seine Familie werden täglich stärker. Was glauben Sie, würden die mit Ihnen machen, wenn sie die Chance bekämen, Sie zu erwischen?«
Damit hing Walter am Haken. Die Farbe wich aus seinem Gesicht. Er zog ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und tupfte damit über seine hohe Stirn.
»Sind wir nun einer Meinung?«
Walter nickte. »Natürlich.«
»Gut, dann sag ich Ihnen jetzt, was ich mir ausgedacht habe. Wir folgen Miss Graf weiter und schauen, wohin sie der Weg führt. Sobald sie ihr Ziel erreicht hat, schicken wir zwei unserer Jäger los. Sie sollen Kevin mitnehmen. Wir werden ein Ausrufezeichen setzen. Schicken Sie zwei der Hunter, die sie für abkömmlich halten, denn die Fingerless werden wohl Hackfleisch aus ihnen machen. Sie werden direkt zu Miss Graf gehen und Kevin vor ihren Augen töten.«
Walter erhob sich. »Sie wollen nicht einmal versuchen, ihn lebend aus der Sache herauszubekommen?«
»Nein. Wir müssen Miss Graf einen Anreiz bieten. Wenn sie nicht will, dass ihre verehrte Marla auch noch drauf geht, wird sie ihren Hintern nach London bewegen. Sie wird uns nur für voll nehmen, wenn sie weiß, dass wir nicht mit uns spaßen lassen. Sebastian Fingerless wird sie begleiten und wir werden ihnen den Kampf ihres Lebens bieten, sobald sie unser Terrain betreten. Nur hier können wir gewinnen. In der Zwischenzeit werde ich mir die Hexe zur Brust nehmen. Sie wird ausspucken, was sie weiß, und vielleicht finden wir einen Schwachpunkt.«
»Drei Menschen werden sterben. Glauben Sie, unsere Jäger werden das so einfach mit sich machen lassen? Selbst in den sicheren Tod gehen und dann auch noch grundlos einen unschuldigen Jungen töten? Wie soll ich ihnen das schmackhaft verkaufen?«
Aldwyn erhob sich. »Genug jetzt! Stellen Sie sich nicht dümmer an, als Sie sind. Notfalls hetzen sie ihnen einen Zauber auf den Hals. Sie stammen von Engeln ab, Walter. Also dienen Sie gefälligst dem Himmel.«
Walter atmete tief durch. Er blickte ihm lange in die Augen und nickte schließlich. »Gut, dann werde ich sehen, wen ich für die Mission entbehren kann. Ich warte auf Ihre Ansage, wo wir Miss Graf finden.«
»Danke. Bitte kümmern Sie sich noch darum, dass ein Wagen bereitsteht. Ich fahre in zehn Minuten zum Flughafen. Die Hexe werde ich persönlich in Empfang nehmen.«
Walter wandte sich grußlos ab und beeilte sich, aus dem Zimmer zu verschwinden.
Aldwyn seufzte. Die neuen Beiratsmitglieder waren vermenschlicht. Wohin würde das auf Dauer führen? Noch gab es ihn und wenige andere, die als Vorbild dienen konnten, aber eines Tages mussten sie das Regime in die Hand nehmen. Er betete selten, viel zu selten, wenn er seine Abstammung bedachte, doch ihm war danach, die Hände zu falten. Er schloss die Augen.
»Vater im Himmel, ich bitte dich. Mach, dass deine Krieger auf Erden stark werden. Wir arbeiten nach deinen Gesetzen und versuchen, deinen Willen fortzusetzen. Aber wir brauchen Kraft dafür. Schenk uns Ausdauer. Deine Erde ist nicht mehr das, was sie mal war. Amen.«
25. Kapitel
Zarte Schleife
A nna war eingeschlafen. Wie sie das nach diesem Erlebnis geschafft hatte und noch dazu im Auto, das Josh Fingerless steuerte, blieb ihr ein Rätsel. Aber irgendwann nahm sich der Körper, was er brauchte und sie hatte es bitter nötig gehabt. Sie erwachte mit dem Wissen, etwas Schreckliches getan zu haben. Gott, wie hatte sie der absurden Bitte nur zustimmen können? Kira del Rossi auf die Menschheit loszulassen, kam einem Amoklauf gleich. Hatte sie mit Waltraud nicht genug Blut vergossen? Sie streckte die Glieder und richtete sich gähnend auf. Sie fühlte sich, als hätte sie ein Lastwagen überrollt.
»Guten Morgen, Prinzessin. Du hast lang geschlafen.« Josh lächelte und deutete mit einem Nicken zur Windschutzscheibe.
Müde fuhr die Sonne ihre ersten Strahlen aus und stach zögerlich ins weite Blau. Einen Moment lang passte das Bild nicht so recht in ihre Vorstellung, denn am strahlend blauen Himmel
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