Teuflische Freunde: Roman (German Edition)
13:23 Uhr eine SMS .
bin da.
Eine Minute später schrieb Yasmine zurück: komme ein paar minuten später. bin gleich da.
Aus ein paar Minuten wurden fünf. Gabe, der Pünktlichkeitsfanatiker, wurde besonders zappelig, wenn er warten musste.
Als kleiner Junge hatte er andauernd gewartet: auf das Ende des Unterrichts seiner Mom, darauf, dass sie mit der Hausarbeit fertig war, darauf, dass sie ihm etwas kochte, darauf, dass sie ihm etwas vorlas, darauf, dass sie ihn ins Bett brachte. Mom hatte immer-, immer-, immerzu irgendwelche Dinge zu tun gehabt.
Aus fünf Minuten wurden zehn. Dann fünfzehn. Um 13:45 Uhr schrieb er wieder eine SMS an Yasmine.
wird langsam knapp.
sorry. bin gleich da.
Erst im Rückblick wurde ihm bewusst, wie sehr sich seine Mutter die ganze Zeit angestrengt hatte. Jede freie Minute wurde von ihrer Ausbildung oder den Anstrengungen, über die Runden zu kommen, aufgefressen. Er wusste nie, wann sie tatsächlich mal schlief, weil sie immer vor ihm aufstand und nach ihm ins Bett ging. Während seiner Vorschulzeit wohnten sie in einem miesen Loch in Chicago mit dem Minimum an Heizung im Winter. Besonders genau erinnerte er sich daran, wie er unter einem riesigen Stapel von Decken fast erstickte. Er hasste dieses Gewicht, weil es sich so anfühlte, als läge jemand auf ihm drauf. Aber sobald er eine oder zwei Decken wegtat, wurde ihm eiskalt. Nur vage konnte er sich an die Wärme des Körpers seiner Mutter erinnern, die zu ihm unter die Decken gekrochen war, weil sie sich ein Bett teilten, alles versunken im Nebel der Kindheit und Schläfrigkeit.
Erst als er fünf war, tauchte Chris auf.
Ganz egal, was er jetzt von seinem Vater hielt, Gabe war ihm dankbar für sein Einschreiten. Kaum hatte er die Bildfläche betreten, zogen sie in eine Drei-Zimmer-Wohnung, und ihr Leben wurde lebenswert. Sie hatten nicht nur mehr zu essen, sondern auch bessere Sachen – Hühnchen, Obst und Gemüse, sogar Kekse – weit entfernt von seinem vorherigen Ernährungsplan aus Milch, Weißbrot, Erdnussbutter und Makkaroni.
Im Hinterstübchen seines Kopfes erinnerte er sich daran, davor bergeweise Nudeln gegessen zu haben. Manchmal mehrere Tage lang. Meistens aß Mom mit ihm zusammen, aber es gab auch Zeiten, wo sie nur ihm etwas zu essen gemacht und ihm dann zugesehen hatte. Selbst als Zwei- oder Dreijährigem war ihm damals schon bewusst gewesen, dass seine Mom nicht gemeinsam mit ihm aß. Er wusste noch, wie er überlegt hatte, ob sie wohl hungrig sei und er mit ihr teilen solle. Aber er hatte selbst so einen Bärenhunger. Und im Handumdrehen hatte er seine ganze Schüssel aufgegessen und das Glas Milch ausgetrunken. Und seine Mom küsste ihn dann auf die Stirn und sagte ihm, er sei ein guter Junge. An diesen Abenden sah er sie niemals auch nur irgendetwas zu sich nehmen außer Unmengen von Kaffee.
Er seufzte.
Nachdem sie jetzt ein ganzes Jahr aus seinem Leben verschwunden war, hatte sie also Kontakt zu ihm gesucht. Und er hatte sie weggejagt. Plötzlich schämte er sich, und mit den Schuldgefühlen bekam er schlechte Laune.
Verdammt, wo blieb dieses Mädchen denn? Eine blöde Idee, von Anfang an. Er wurde noch angespannter.
Nach Chris’ Auftauchen waren sie nie wieder hungrig gewesen. Sie hatten eine Heizung, sie hatten eine Klimaanlage, und er hatte den größtmöglichen Luxus – ein Klavier.
Über Silvester hatte Chris ihn vor sechs Wochen mit nach Paris genommen. In der Nähe seines Dads zu sein, fühlte sich immer so an, als befände man sich neben einem Pulverfass mit einer besonders langen Zündschnur. Irgendwann würde es explodieren, man wusste nur nicht, wann. Gabe hatte sich höflich und ruhig verhalten, und ausnahmsweise benahm sich Chris auch einmal. Eigentlich hatten sie eine ganz angenehme Zeit zusammen gehabt.
Sie hatten allerdings auch nicht viel Zeit miteinander verbracht. Chris verschlief normalerweise den ganzen Vormittag, während Gabe sich morgens die Stadt zu eigen machte, auf langen Spaziergängen und mit Schnappschüssen der markanten Architektur der Stadt. Gewöhnlich trafen sie sich nachmittags und gingen ins Museum, dann etwas essen und/oder zu einem Konzert. Gabe kehrte in sein Hotelzimmer zurück, während sein Vater sein Netz nach Frauen auswarf.
Und eine nach der anderen ausprobierte. Das Mündigkeitsalter lag in Frankreich niedriger, und Chris nutzte die liberaleren Gesetze zu seinem Vorteil und vögelte Mädchen, wegen derer er in den Staaten direkt im Gefängnis gelandet
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