Teuflische List
zwischen Muswell Hill und den Nordbezirken hatte finden können. In Welwyn Garden City erwarb er einen steinernen Cupido, der nicht zu kitschig aussah. Dazu kam dann noch eine Steinbank,die sie im Beton verankerten, mit dem sie den Teich umgrenzt und das Grab ihres Vaters bedeckt hatten. Schließlich kamen noch Pflanzen ins Wasser – Silas hatte gelesen, sie seien entscheidend für die Sauerstoffversorgung – und ein halbes Dutzend fetter Goldfische. Was diese Fische betraf, hatte man Silas gewarnt, müsse er besondere Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, wenn er verhindern wollte, dass Katzen oder Marder sie sich holten. Silas dachte bei sich, dass wohl Frösche das Regiment übernehmen würden, wenn die Fische verschwunden waren, doch solange der Teich vernünftig und gepflegt aussah, war es ihm egal.
»Eigentlich ist es ein sehr hübsches Grabmal, findest du nicht?«, sagte er und betrachtete ihr fertiges Werk. »Vielleicht macht es dir die Sache ja leichter, wenn du es so siehst.«
Jules schaute auf die Bank und dachte daran, was sich darunter befand.
»Ein Grabmal für was?«, entgegnete sie leise und schauderte.
»In gewisser Weise ist es gar nicht mal so traurig, Jules«, sagte Silas in sanftem Tonfall.
»Ich begreife nicht, wie du so etwas sagen kannst«, erwiderte Jules.
»Er wollte doch wieder zurückkommen. Er wollte wieder in sein altes Haus, zu uns.«
»Aber wir wissen nicht wirklich, was er wollte«, widersprach Jules. »Oder?«
Silas sah, wie sie mit ihren braunen Augen kurz sein Gesicht musterte.
»Da hast du wohl Recht«, antwortete er ruhig. »Aber falls er hier bleiben wollte«, fuhr er fort, »hat er seinen Willen bekommen, oder etwa nicht?«
12.
Als Silas fünfundzwanzig und Jules zwanzig war, verliebte sie sich in Ralph Weston, einen Zoologen am National History Museum. Zum ersten Mal hatte Jules sich so sehr verliebt, dass sie sich leidenschaftlich und ohne Einschränkungen wünschte, mit einem anderen Mann zu leben als mit ihrem Bruder.
Das hieß natürlich, dass sie sich irgendwann der wenig beneidenswerten Aufgabe würde stellen müssen, Silas zu sagen, dass sie das Haus verlassen wollte …
… dass sie ihn verlassen wollte.
Es ist schon bemerkenswert, dachte Jules bisweilen, über was ein Mensch alles hinwegkommen kann. Manches konnte man zwar nicht vergessen, aber man konnte es zumindest beiseite schieben. Der Liebe wegen. Oder für den Seelenfrieden. Oder aus Angst, den Menschen zu verlieren, der einem am nächsten stand.
Oder aus Angst um sich selbst.
Wenn sie wütend auf Silas war, hatte sie sich stets ins Gedächtnis gerufen, was er noch immer für sie tat und was er für sie bedeutete. Wie er sie all die Jahre ermutigt hatte; wie er sie immer wieder gelobt hatte und nur das Beste für sie wollte. Und die Dinge, von denen er sie abgebracht hatte … zum Beispiel, die Universität zu besuchen. Jules hatte eine Zeit lang mit diesem Gedanken gespielt, bis Silas sie davon überzeugt hatte, dass es nicht gut für sie sei, dass sie keine Abenteurerin sei, sondernnach Beständigkeit strebe, vor allem in ihrem Umfeld. Und natürlich waren da noch die Bücher …
»Warum vergisst du den akademischen Grad nicht einfach«, hatte er ihr vorgeschlagen, »und fängst direkt mit dem an, was du nach dem Studium machen würdest?«
Inzwischen war es zwei Jahre her, seit Silas bei der Bank für Jules gebürgt hatte, damit sie eine Buchhandlung in Crouch End hatte eröffnen können – auf der Hauptstraße zwischen der Shanklin Road und dem Uhrturm, nur einen Katzensprung von dem Fotostudio entfernt, das Silas sich im Keller eines Reihenhauses in Crouch End Hill eingerichtet hatte. Zwei Jahre, seit Jules ihr Wort Silas gegenüber eingelöst und ihm das Haus überschrieben hatte – »in Liebe und Freundschaft«, wie ihr Anwalt ihnen empfohlen hatte, um hervorzuheben, dass bei dieser Transaktion kein Geld geflossen war. Jules war ihrem Bruder dankbar, dass er ihr geholfen hatte, ihren Buchladen aufzubauen, »Jules’ Books«, auch sie wusste, dass er damit nur hatte erreichen wollen, dass sie nicht wegzog … weg von zu Hause, weg von ihm.
Dass sie nicht hatte studieren können, war eine kleine Enttäuschung für Jules gewesen, aber auch eine logische Fortsetzung des Handels, den sie und Silas nach den Unannehmlichkeiten mit dem Testament ihrer Mutter geschlossen hatten. Jules wusste, welchen Schaden Patricia damals angerichtet hatte und wie tief Silas verletzt gewesen war.
Und auch
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