Teuflische List
geklärt.« Er griff wieder nach der Speisekarte. »Wir sollten jetzt bestellen, sonst werfen sie uns noch raus. Bei dieser ganzen Planerei bin ich fast verhungert.«
Die freundschaftliche Wärme, die von Anfang an zwischen Abigail und Jules bestanden hatte, wuchs noch, als sie Deauville, die Küste der Normandie und das Landesinnere erkundeten. Sie hatten viel Zeit, miteinander zu schwatzen. Dabei fiel Abigail auf, dass Jules in fast jedem Gespräch ihre Loyalität zu Silas bekundete.
»Ohne Silas«, sagte sie in ihrem gemieteten Peugeot auf dem Weg nach Honfleur am ersten Morgen, »hätte ich Jules’ Books nie eröffnen können.«
Und bei einem café au lait in einer kleinen Hafenbar: »Silas und ich haben uns schon vor dem Tod unserer Mutter sehr nahe gestanden, aber hinterher ist er Vater und Bruder zugleich für mich geworden.«
Und bei Brioche und Melone am nächsten Morgen auf Abigails Balkon: »Ich weiß, wie verletzt er war, als ich zu Ralph gezogen bin, aber nachdem er sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hatte, hat er mich tatkräftig unterstützt.«
Und später am gleichen Tag, als sie wieder zum Wagen schlenderten, nachdem sie auf einem Bauernhof Calvados gekauft hatten: »Ralph hat keine Familie mehr außer mir. Deshalb kann er so schwer verstehen, dass Silas und ich so lange alles füreinander bedeutet haben.«
Bis zu diesem Augenblick hatte Abigail gezögert zu erwähnen, was Silas gesagt hatte – von wegen, dass Ralph ihn nicht mochte –, doch nun tat sie es.
»Da liegt er vollkommen falsch«, sagte Jules.
»Aber mir ist aufgefallen«, fuhr Abigail fort, »dass ihre Unterhaltung auf der Party ein wenig … angestrengt wirkte.«
»Ralph hat nichts gegen Silas«, beteuerte Jules noch einmal, als sie den Peugeot erreichten.
»Ich nehme an«, sagte Abigail, die ihre Schwägerin nicht aufregen wollte, »dass sie einfach zu unterschiedlich sind.«
»Es liegen Welten zwischen ihnen«, pflichtete Jules ihr bei und stieg in den Wagen. »Sie haben nicht das Mindeste gemeinsam.«
»Doch«, widersprach Abigail. »Dich.«
17.
»Stimmt was nicht?«, fragte Abigail Jules am nächsten Morgen, als der letzte Tag ihres Urlaubs begann. Sie standen in der Tür eines Antiquitätenladens am Quai de la Touques in Deauville und suchten Schutz vor einem Schauer.
Jules schüttelte den Kopf und lächelte. »Ich habe nur an Ralph gedacht und mir vorzustellen versucht, wo sein Flugzeug gerade ist.« Sie blickte auf die Uhr. »Vielleicht irgendwo über den Pyrenäen, vielleicht aber auch schon näher an zu Hause.«
»Und du wirst nicht da sein, um ihn bei der Ankunft zu begrüßen.« Abigail schämte sich plötzlich. »Und das nur wegen mir.«
»Morgen sind wir ja wieder zurück«, erwiderte Jules gelassen.
»Silas hätte dich nie überreden dürfen, dass du herkommst.«
»Er hat mich nicht überredet. Ich wollte kommen, und Silas hat es nur getan, weil er dich liebt.« Jules hakte sich bei Abigail unter. »Und ich bin ihm sehr dankbar, dass er uns beiden ein wenig gemeinsame Zeit gegeben hat.«
Als der Abend nahte, schlug Abigail vor, im Hotel zu essen, damit Jules da war, falls Ralph anrief. Sie hatten gerade den ersten Gang hinter sich, als Jules zum Telefongebeten wurde. Als sie an den Tisch zurückkehrte, strahlten ihre Augen, denn Ralph war sicher gelandet und hatte ihr versichert, sie brauche sich keine Gedanken zu machen, dass sie nicht zu Hause sei; er sei von der langen Reise ohnehin todmüde. Trotzdem freue er sich schon darauf, sie morgen am Zug abzuholen.
Doch als sie am folgenden Tag in Waterloo eintrafen, wartete nicht Ralph, sondern Silas am Bahnsteig auf sie.
»Ich wusste gar nicht, dass Ralph auch kommen wollte«, sagte er, umarmte die beiden Frauen und nahm Abigail das Cello und den Koffer ab.
Sie schauten sich um.
»Ich werde warten«, sagte Jules. »Ihr beide könnt ruhig schon gehen, wenn ihr wollt.«
»Sei nicht dumm«, erwiderte Abigail. »Wir warten gemeinsam. Vermutlich steckt er irgendwo im Stau.«
Langsam gingen sie zur Schranke. Jules blickte wiederholt über die Schulter, um sicherzugehen, dass sie Ralph in dem Gedränge nicht verpasst hatten, doch es war keine Spur von ihm zu sehen.
»Hier«, sagte Silas nach mehreren Minuten, fischte das Handy aus der Jackentasche und reichte es seiner Schwester. »Ruf doch mal bei euch zu Hause an.«
Jules wählte die Nummer und runzelte die Stirn. »Besetzt.«
»Liegt vielleicht an der Verbindung«, sagte Silas.
Jules
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