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Teuflische List

Teuflische List

Titel: Teuflische List Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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waren nackt. Sein Gesicht war ein wenig fleckig und leicht gedunsen. Die runde Brille saß schief auf der Nase, und die Augen waren blutunterlaufen und starrten ins Nichts, während sein Mund offen stand, als hätte er nach Luft geschnappt – vielleicht war er erstickt. Auf denblau angelaufenen Lippen hatten sich Schaumtropfen gesammelt. Er trug sein MedicAlert-Armband; die linke Hand lag an seiner Kehle, und es sah so aus, als hätte er mit der rechten nach etwas zu greifen versucht.
    Jules berührte das Gesicht des Toten. Der Ring mit dem irisierenden Tigerauge, den Ralph ihr von einer seiner letzten Reisen nach Afrika mitgebracht hatte, ließ das Zittern ihrer Hand noch deutlicher erkennen. Sie atmete so flach, dass man es kaum noch sehen konnte, und das Zittern wanderte von ihrer Hand den Arm hinauf, bis schließlich ihr ganzer Körper bebte. Wieder berührte sie seine Wange, streichelte sie, beugte sich dann plötzlich über ihn, schlang die Arme um seinen Leib, hob ihn ein wenig hoch und drückte ihn an ihre Brust.
    »Schwesterlein«, sagte Silas.
    Jules’ Lippen bewegten sich, auch wenn keine Worte zu hören waren.
    »Liebling«, sagte Silas.
    Er spürte Abigails eiskalte Hand, die sich an seine klammerte und ihn zurückhielt. Als er sich zu ihr umdrehte, schüttelte sie den Kopf, und er wusste, dass sie ihm damit sagen wollte, er solle Jules erst einmal in Ruhe lassen. Erst zögerte er, doch er wusste, dass seine Frau Recht hatte, und so richtete er sich auf und nahm stattdessen sie in den Arm.
    So standen sie eine Zeit lang einfach nur da, bevor Silas ein kleines, schnurloses schwarzes Telefon bemerkte, das ein Stück entfernt auf dem Boden lag.
    »Schau«, sagte er ganz leise.
    Abigail reagierte zuerst, löste sich von ihm, ging zu dem Telefon und hob es auf.
    »Deshalb war die ganze Zeit besetzt«, sagte sie leise und reichte Silas das Gerät.
    Er drückte eine Taste. »Er muss versucht haben, Hilfe zu rufen, und hat es fallen lassen.«
    Jules gab ein ersticktes Geräusch von sich.
    »Liebling.« Silas legte das Telefon auf den kleinen Küchentisch, drehte sich um, bückte sich wieder und legte seiner Schwester die Hand auf die Schulter. »Lass mich …«
    »Nein.« Sie schüttelte seine Hand ab und sank noch mehr in sich zusammen.
    Abigail starrte auf den Tisch.
    Eine Aluminiumschale mit Essen stand neben dem Telefon. Irgendein Reisgericht … Hühnchen vielleicht, oder Pilze, zu klein geschnitten und mit zu viel Soße, als dass man es hätte identifizieren können.
    An der Tischkante lag eine Gabel, an der noch Reste vom Reis klebten.
    Abigail erinnerte sich, dass Jules ihr einmal von den Gefahren eines anaphylaktischen Schocks erzählt hatte, der Menschen mit starken Allergien wie ein Fausthieb niederstrecken konnte.
    Wie Ralph.
    »Das ergibt überhaupt keinen Sinn«, sagte Jules mit rauer Stimme.
    »Versuch mal, das zu trinken, Schwesterlein.«
    Silas hatte den Arzt gerufen, ihnen allen einen Brandy eingeschenkt und zwei Decken geholt. Eine hatte er Jules um die Schulter gelegt, die andere über die Leiche betten wollen, doch Jules hatte sie ihm aus der Hand gerissen und sie selbst sanft auf Ralphs Körper gelegt; nur sein Gesicht hatte sie frei gelassen.
    Nun kauerten die drei auf dem Boden, warteten und hielten Totenwache.
    »Ich frage mich«, sagte Jules unvermittelt, »ob er die Schlangen gefüttert hat.«
    »Um die würde ich mir jetzt keine Sorgen machen«, meinte Silas.
    »Ralph hat sich aber immer um sie gekümmert«, sagte seine Schwester erregt.
    »Ich weiß, Schwesterlein«, sagte Silas.
    »Wir können später nach ihnen sehen«, erklärte Abigail.
    Jules blickte über den Tisch zu der Schale mit dem Reisgericht. »Was immer das sein mag, Ralph hätte nie etwas Verdächtiges gekauft.«
    »Versuch, jetzt nicht darüber nachzudenken«, sagte Abigail mit leiser Stimme.
    »Er ist nie irgendwo hingegangen, wo man ihn nicht gut kannte.« Jules zitterte noch immer. Sie war aschfahl, doch geweint hatte sie nicht. »Dafür hat er viel zu sehr auf seine Allergie geachtet.«
    »Vielleicht war er müde«, sagte Silas.
    »Trotzdem«, erwiderte Jules.
    Abigail erinnerte sich an den vorherigen Abend in Deauville, als Jules von ihrem Telefonat mit Ralph zurückgekommen war – ihrem letzten Gespräch – und gesagt hatte, wie erschöpft er nach dem langen Flug sei.
    Sie schaute zu Jules und sah in ihren Augen, dass auch sie sich daran erinnerte.
    »Wenn der Arzt hier war«, sagte Silas, »solltest du

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