Teuflische List
lieber mit uns nach Hause kommen.«
»Ich werde Ralph nicht allein lassen«, erklärte Jules.
»Ich weiß, Liebling«, sagte Silas. »Aber hinterher.«
Jules starrte ihn an. »Sie werden ihn mitnehmen wollen, nicht wahr?«
»Ich nehm’s an«, bestätigte ihr Silas.
Abigail biss sich auf die Lippe und wartete darauf, dass die andere Frau protestierte, sich vielleicht sogar rundheraus weigerte.
Jules strich Ralph übers Haar, senkte den Kopf und küsste ihn auf die Stirn.
»Wo bleibt der verdammte Kerl?«, rief Silas plötzlich wütend.
»Er hat keinen Grund zur Eile«, bemerkte Jules.
Endlich kamen die Tränen, stumm zunächst; dann öffnete sie den Mund zu einem lauten, hässlichen Schluchzen. Silas stellte sein Brandyglas auf den Boden, rückte näher zu ihr heran und nahm sie sanft in den Arm. waren Jules weinte sich an der Schulter ihres Bruders aus, ohne Ralph loszulassen. Und Abigail, die sich noch deutlich daran erinnerte, wie freudig Jules’ Augen erst vierundzwanzig Stunden zuvor gestrahlt hatten, nachdem sie mit Ralph gesprochen hatte, brach ebenfalls in Tränen aus.
Und dann kehrte ein anderes Gefühl zu Abigail zurück, ein altes, schreckliches und vertrautes Gefühl. Denn wäre Jules gestern Abend nicht mit ihr in Frankreich gewesen, sondern hier bei Ralph, wäre das alles nie …
Hör auf damit, ermahnte sie sich.
Sie kämpfte ihre Schuldgefühle nieder, und ihre Tränen versiegten. Dann aber stieg wieder Wut in ihr auf, Wut auf sich selbst, denn hier ging es um Jules und Ralph, nicht um sie.
Noch mehr Schuldgefühle.
Das war wohl ihr größtes Talent.
18.
Jeder, der Ralph kannte, stimmte mit Jules darin überein, dass es unerklärlich sei, dass Ralph sich der Gefahren seiner Allergie viel zu bewusst gewesen war, als dass er einen derart tödlichen Fehler begangen hätte. Doch der Bericht des Pathologen war unwiderlegbar. Ralph hatte eine kleine Menge Reis, Huhn und Pilze gegessen, die in Nussöl gebraten worden waren, und sein Tod war in der Tat ein anaphylaktischer Schock gewesen, der schlussendlich zu einem Atemstillstand geführt hatte.
Also war er eines natürlichen Todes gestorben.
Ralphs Fehler war auf seine Müdigkeit zurückzuführen.
»Ich glaube das einfach nicht«, sagte Jules immer wieder und zu jedem, der ihr zuhören wollte. »Das ergibt keinen Sinn. Nicht wenn man weiß, wie vorsichtig er war.«
Doch Jules wusste, was man hinter ihrem Rücken über sie sagte: Das ist Selbstverleugnung. Sie will es einfach nicht wahrhaben.
Vermutlich hatten die Leute Recht damit.
Da sie es als unerträglich empfand, in der Wohnung zu bleiben – seltsamerweise umso mehr, seit man Ralphs Schlangen weggebracht hatte –, war Jules mit Asali zu Silas und Abigail gezogen.
»Nur bis nach der Beerdigung«, hatte sie anfangs erklärt, doch auf Drängen ihres Bruders und seiner Frau –und da sie schon kurz nach Ralphs Tod beschlossen hatte, die Wohnung zu verkaufen – blieb sie bis Ende Juli. Dann zog sie ins obere Stockwerk eines alten Reihenhauses zwischen Highgate und Crouch End. Die Zimmer waren geräumig und hell, und im Wohnzimmer gab es einen Kamin im Yorkshirestil. Die Küche war modern und gut ausgestattet. Vor allem aber war es nicht die Küche, in der sie den armen Ralph gefunden hatten.
»Wird Asali damit zurechtkommen, im Obergeschoss zu wohnen?«, hatte Abigail gefragt, als Jules ihr und Silas zum ersten Mal von der neuen Wohnung erzählt hatte.
»Wir dürfen den Garten benutzen«, hatte Jules daraufhin erklärt. »Ich hab sogar einen Anteil am Grundbesitz erworben, und die anderen Leute im Haus haben nichts gegen Hunde.«
»Das ist viel zu weit weg von uns«, hatte Silas gesagt.
»Es ist deutlich näher als Camden Town«, hatte Jules erwidert. »Und nun, da wir alle etwas zum Fahren haben, dürfte das ja wohl kein Problem mehr sein.« Jules hatte Abigail Ralphs alten Mini gegeben (nachdem Silas ihn in einer Werkstatt hatte durchchecken lassen); inzwischen nahm Abigail Fahrstunden.
»Du weißt es doch, oder?« Abigail nahm sie am Tag vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages beiseite. »Du weißt doch, dass wir beide dich wirklich gerne hier haben, nicht wahr? Dass wir uns nichts mehr wünschen, als dass du hier bleibst?«
»Ich weiß«, erwiderte Jules, »und ich danke euch dafür, aber ich muss wirklich wieder für mich leben.« Sie hielt kurz inne und blickte Abigail aufmerksam an. »Das verstehst du doch, oder?«
»Natürlich verstehen wir das«, antwortete
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