Teuflische Lust
schlief. Erst dann verließ er sein Versteck und hockte sich neben sie. Ihr Gesicht war wunderschön. Und dieses Lächeln auf ihren vollen Lippen ließ ihn schwach werden. Eine Jungfrau. Es war nicht zu glauben. Sie waren schon immer eine Besonderheit gewesen, selbst in prüderen Zeiten. Der natürliche Schutz, der sie umgab, machte es Jägern wie ihm sehr schwer, sie zu erbeuten. Oft verloren sie ihre Reinheit dann auf einem anderen Weg, noch bevor ein Buhlteufel sie für sich gewinnen konnte.
Er beugte sich über sie, so dass er fast ihre Lippen berührte, die sich verführerisch öffneten, als wollte sie ihn küssen. Selbst aus dieser Entfernung spürte er die kleinen Blitze, die durch seine Haut zuckten, wenn er ihr zu nahe kam.
»HabGeduld«, hauchte er zärtlich. »Schon bald werde ich deine Träume wahr machen.« Dann löste er sich von ihr. Er hatte auf seinem Weg durch die Stadt ein sogenanntes Internetcafé entdeckt. Er war hineingegangen, um sich einen Überblick über diese neue Welt zu verschaffen, hatte sich die neuartige Technik angesehen und was die Leute alles mit ihr anstellen konnten. Nun hatte er eine Idee, wie er Alexia verführen konnte, ohne sie durch ein plötzliches Erscheinen zu ängstigen.
Er trat an das Fenster, öffnete es leise und atmete die Nachtluft ein. Dieses Haus war von Sehnsüchten erfüllt. Und er würde sie alle wahr werden lassen.
Seit 8 Uhr morgens hallte das Geschrei von Frau Mangel aus dem dritten Stock durch den Flur. An Schlaf war von diesem Moment an nicht mehr zu denken gewesen. Alexia hatte jedoch ohnehin andere Pläne gehabt. Um 9.30 Uhr klingelte es an ihrer Tür. Melli stand mit zwei gefüllten Brötchentüten vor ihr und zuckte sichtlich zusammen, als Frau Mangel ihre Stimme zum wiederholten Male erhob.
»Wie kann man nur so blöd sein?«, brüllte sie.
»Hast du das letzte bisschen Verstand auch noch verloren?«
»Hör gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!«
Dank der papierdünnen Wänge entging keinem Mieter der genaue Wortlaut von Frau Mangels Schimpftiraden. Ob sie sich über diesen Umstand bewusst war, wagte Alexia zu bezweifeln. Sie schätzte Frau Mangel als eine Frau ein, die nach außen hin gern einen anständigen und tadellosen Eindruckmachte. Das Image eines Hausdrachens passte eher weniger dazu.
»Sag mal, streiten die sich vor ihrer Tür, oder warum ist das so laut?«, fragte Melli. Alexia zuckte hilflos die Achseln. Seit sie in die 23 gezogen war, stritt sich das Ehepaar regelmäßig. Sie hatte schon die eine oder andere Auseinandersetzung mitbekommen. Dabei war es meist Frau Mangel, die man hörte. Ihr Mann hielt sich sehr zurück.
»Komm rein, Melli«, sagte Alexia, die ihre Nachbarin zum Frühstück eingeladen hatte. Melli hatte das wohl missverstanden und selbst noch etwas zum Essen mitgebracht.
Alexia fragte sich bei dem Anblick der bis zum Rand gefüllten Tüten, wer das alles essen sollte.
Ihre Nachbarin zog ihre Mokassins aus, stellte sie neben die Tür auf eine Matte und folgte Alexia in die Küche.
»Oh, du hast ja schon gedeckt«, stellte Melli fest und setzte die beiden Tüten neben einem gefüllten Brötchenkorb ab. »Wenn ich das gewusst hätte.«
»Ich sagte doch, ich lade dich ein.«
»Ist mir irgendwie entgangen.«
»Das sehe ich. Warte kurz, ich muss nur noch eine Mail an eine Kommilitonin schicken. Wir schreiben an einer gemeinsamen Hausarbeit über differentielle Psychologie.« Alexia hatte ihren Laptop auf die Arbeitsfläche neben den Herd gestellt und hackte rasch etwas in die Tastatur.
»Aha. Das klingt spannend.« Melli schnappte sich eine saure Gurke aus einer Porzellanschüssel und biss herzhaft hinein.
»So. Fertig.«
Alexia setzte sich an den Tisch und bot Melli Orangensaft an, die aber dankend ablehnte und sich stattdessen zweigroße Löffel Kakaopulver in die Milch gab. Ein wenig beneidete sie Melli um ihre schlanke Figur. Sie gehörte scheinbar zu dem Typ Frau, der alles essen konnte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen.
»So, jetzt erzähl mal. Wie geht es dir, Melli? Was treibst du so?« Alexia musterte ihr Gegenüber unauffällig. Frau Wagner hatte behauptet, Melli sei noch dünner geworden. Tatsächlich wirkten ihre Wangen ein wenig eingefallen. Von den dürren Ärmchen, die fast nur aus Haut und Knochen bestanden, ganz zu schweigen.
»Gut, gut«, sagte Melli und beschmierte ein halbes Brötchen mit Ingwermarmelade. Während Alexia noch überlegte, wie sie das Thema am besten auf ihren Nachbarn
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