Teuflische Schwester
Das war doch
nicht möglich! Das war nie und nimmer ein Traum
gewesen!
»Das weiße Kleid«, flüsterte sie. »Das vom Speicher,
das ich zur Tanzparty anhatte. Es war heute nacht in
meinem Zimmer.«
Teri schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist nicht
möglich«, sagte sie. »Ich hab’s in derselben Nacht noch
weggeworfen, gleich nachdem wir dich heimgebracht
haben.«
»Aber nein!« beharrte Melissa. »Weißt du das nicht
mehr? Du hast es vorhin gesehen. Und wir sind zusammen
zum Schuppen gegangen.«
Teris Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Melissa!
Wovon redest du da? Wir sollen zum alten Schuppen
gegangen sein? Wann denn?«
Tränen schossen Melissa aus den Augen. »Gerade erst!
W-wir haben Todd dort gefunden. D-D’Arcy hat ihm
etwas angetan!«
Teri schüttelte erneut den Kopf. »Ich habe wirklich nicht
die geringste Ahnung, wovon du redest, Melissa. Sag mir
doch, was los ist.«
So gut sie es konnte, setzte Melissa die Bruchstücke
zusammen. Immer wieder schluckte sie ein Schluchzen,
das sie zu überwältigen drohte, hinunter. »A-aber
nachdem ich Todd gesehen habe«, schloß sie, »kann ich
mich an nichts mehr erinnern. Ich bin dann im Flur
aufgewacht. Cora hat mir gesagt, ich wollte auf den
Speicher.«
Teri ließ sich stöhnend auf ihr Kissen fallen. »Also
wirklich, Melissa. Wann wirst du endlich erwachsen?«
Melissa wich erschrocken zurück. »Aber …«
»Es war ein Alptraum, Melissa. Das liegt doch auf der
Hand. Du hattest einen Alptraum und wolltest im Schlaf
auf den Speicher gehen. Da hat Cora dich gefunden.«
Melissa wollte sich nichts ausreden lassen. »Aber es war
kein Alptraum. Du warst dabei!«
Teri schüttelte den Kopf. »Ich war nirgendwo, Melissa.
Ich bin kurz nach zehn ins Bett gegangen und habe
seitdem geschlafen.« Auf ihren Lippen spielte ein
verächtliches Lächeln. »Wenn du nicht mehr merkst, wann
du geträumt hast, bist du vielleicht wirklich so verrückt,
wie die anderen sagen. Jetzt geh wieder ins Bett und laß
mich schlafen, ja?« Sie wartete erst gar nicht auf eine
Antwort, sondern machte sofort das Licht aus, drehte sich
auf die andere Seite und zog das Kissen über den Kopf.
Als Melissa gegangen war, stieß sie das Bettzeug von
sich, warf sich auf den Rücken und preßte sich die Faust
vor den Mund.
Eins konnte sie jetzt nämlich überhaupt nicht brauchen:
daß Melissa ihr Gelächter hörte.
25
»Missy? Liebling, Zeit zum Aufwachen.« Sanft berührte
Charles Holloway seine Tochter an der Schulter. Endlich
wälzte Melissa sich herum, blinzelte kurz mit einem Auge
in die strahlende Sonne und machte es sofort wieder zu.
»Daddy?« fragte sie. »Wie spät ist es?«
»Fast neun Uhr, mein Schatz.« Charles setzte sich an die
Bettkante und streichelte Melissa die Hand. »Ich muß in
die Stadt zurück, aber erst wollte ich dir auf Wiedersehen
sagen.«
Melissa nahm seine Worte nur am Rande wahr. Die
Erinnerung an die vergangene Nacht hatte sie schon
wieder überfallen. Es überlief sie eiskalt. Sie setzte sich in
panischer Angst jäh auf und schlang die Arme um ihren
Vater. »B-bitte geh nicht!« bettelte sie. »Bitte!«
Charles drückte sie fester an sich, dann machte er sich
sachte frei. »Hey, es ist ja nur für heute. Ich fliege runter,
treffe ein paar Leute zu einem Geschäftsessen und bin am
Abend schon wieder hier.« Er lächelte sie aufmunternd an.
»Es ist ja nur für ein paar Stunden. Wenn ich mich jetzt
nicht beeile, verpasse ich den Flug. Okay?«
Melissa erstarrte. Sie wollte ihrem Vater erzählen, was
in der Nacht Schreckliches geschehen war, wollte ihn
bitten, jetzt sofort mit ihr zum Schuppen zu gehen und
unter den Dielen nachzusehen.
Sogleich fielen ihr aber die zwei Nächte auf dem
Speicher ein. Einmal hatte sie Blackie vom Dachsparren
hängen sehen, und das andere Mal hatte D’Arcy auf der
obersten Treppe gestanden und ihr ihre Hand vor die Füße
geworfen.
Und beide Male hatte sie darauf bestanden, daß jemand
mit ihr nachschauen ging, mit dem Ergebnis, daß sie
nichts gefunden hatten.
Dabei konnte sie sich genau erinnern. Sie sah ja Todds
Leiche im fahlen Mondlicht im Schuppen noch vor sich.
Sollte das wirklich nur ein Alptraum gewesen sein?
Anscheinend, denn nachdem sie auf das zerhackte Opfer
in der Grube gestarrt hatte, setzte ihre Erinnerung aus. Erst
im Haus, nur wenige Schritte von ihrem Zimmer entfernt,
war sie wieder aufgewacht.
Coras Worte hatte sie noch im Ohr.
»Du bist wieder mal schlafgewandelt,
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