Teuflische Schwester
mich?«
Schweigen. Andrews fühlte den Puls. Er hatte sich auf
eine kalte Haut gefaßt gemacht, aber sie fühlte sich
vollkommen normal an.
Nur daß sie seine Berührung überhaupt nicht zu
registrieren schien.
Er untersuchte geschwind die anderen Körperfunktionen,
aber wie sein älterer Kollege konnte auch er nichts
Außergewöhnliches feststellen. Abgesehen von ihrem
Schweigen und der ausdruckslosen Miene, war an Melissa
nichts Anomales festzustellen.
Bei eingehenderem Betrachten ihres Gesichts dämmerte
Doktor Andrews jedoch, daß sich etwas verändert hatte.
Es war dasselbe Gesicht; er bemerkte jedoch im Vergleich
zu früher einen feinen Unterschied in ihren Zügen, den er
nur noch nicht zu benennen vermochte.
Und dann verstand er.
Er hatte gar nicht mehr Melissa vor sich.
»D’Arcy?« fragte er. »D’Arcy, hörst du mich?«
Melissas Kopf drehte sich zu ihm. Ohne jedes Anzeichen
von Erkennen starrte sie ihn an.
»Ich bin Doktor Andrews, ein Freund von Melissa. Hat
sie dir schon mal von mir erzählt?«
Etwas änderte sich an Melissas Augen. Andrews war
sich fast sicher, ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielen
gesehen zu haben. Sie schwieg jedoch weiter.
»Wo ist Melissa, D’Arcy? Darf ich mit ihr sprechen?«
Einen Augenblick lang starrte ihn das Mädchen nur an.
Dann schüttelte sie ganz langsam den Kopf. Ihre Lippen
formten ein einziges Wort. »Schläft.«
»Melissa schläft?« fragte Andrews.
Melissa nickte.
»Kannst du sie wecken?«
Melissa schüttelte den Kopf. »Sie will nicht aufwachen.
Sie will nie wieder aufwachen.«
Andrews nahm ihre Hände zwischen die seinen und
beugte sich zu ihr vor. »D’Arcy, weißt du, warum sie nicht
mehr aufwachen will?«
Melissa lächelte. »Sie hat Angst. Sie hat etwas
Schlimmes getan und hat jetzt Angst vor der Strafe.«
Plötzlich sprang die Tür auf, und Charles Holloway kam
hereingestürmt. Als er Melissa in ihrem blutgetränkten
Kleid auf dem Sofa sitzen sah, blieb er wie angewurzelt
stehen. Aus seinem Gesicht wich jede Farbe. »MeMelissa?« stammelte er.
Andrews erhob sich eilig, und als Charles auf sie
zugehen wollte, hob er abwehrend die Hand. »Versuchen
Sie jetzt nicht mit ihr zu sprechen, Charles. Ich muß Ihnen
zuerst etwas erklären.«
Charles schob den Psychiater beiseite, doch als sein
Blick auf Melissas Gesicht fiel, bemerkte auch er die
Veränderung an ihren Zügen.
»Was hat das zu bedeuten?« fragte er benommen.
»Sie … sie sieht so anders aus.«
»Sie ist jetzt eine andere«, erklärte Andrews ihm leise.
»Das ist nicht mehr Melissa. Das ist D’Arcy.«
Charles’ Augen weiteten sich vor Entsetzen. »D’Arcy?
Was, zum Teufel, meinen Sie damit? Es gibt keine
D’Arcy.«
»Doch«, widersprach Andrews geduldig. »D’Arcy ist
eine andere Person, die Melissa zu ihrem Schutz benutzt
hat. Und jetzt hat sie ganz von ihr Besitz ergriffen. Sie
sagt, daß Melissa sich schlafen gelegt hat und nicht mehr
aufwachen möchte.«
Charles wurden die Knie plötzlich weich. Er sackte auf
den nächsten Stuhl. »Wa-was heißt das?« fragte er. Tief in
seinem Innersten hatte er freilich schon die schreckliche
Gewißheit, die Antwort zu kennen.
»Das heißt, daß wir jetzt sehr viel Arbeit vor uns haben«,
sagte Andrews und legte mitfühlend die Hand auf die
Schulter des verzweifelten Mannes. »Irgendwie werde ich
einen Zugang zu Melissa finden. Aber wenn sie nicht will,
daß man sie anspricht …« Er verstummte. Seine letzten
Worte blieben in der Luft hängen.
Cora Peterson regte sich in ihrem Bett, dann setzte sie sich
mühsam auf. Elsie Conners, die sofort herbeigeeilt war,
als sie die schreckliche Nachricht gehört hatte, erhob sich
von ihrem Stuhl beim Fenster. »Bleib jetzt ganz ruhig,
Cora«, sagte sie streng. Normalerweise schalt sie nur den
Sohn ihres Arbeitgebers in diesem Tonfall. »Der Arzt hat
strenge Bettruhe angeordnet.«
»Ich bleib’ aber nicht im Bett«, versetzte Cora und
schwang die Füße über die Bettkante. Automatisch strich
sie sich beim Aufstehen die Falten aus dem Kleid. »Ich
habe meine Eltern und meinen Mann verloren und bin
stark geblieben. Außerdem wäre es bestimmt nicht in
Todds Sinne, wenn ich mich jetzt gehenlassen würde.«
»Aber der Arzt …«
»Die Ärzte haben die Weisheit auch nicht gepachtet.
Wenn du mir helfen willst, ist es mir recht. Aber wenn du
jetzt nur an mir herumnörgeln willst, solltest du lieber zu
den Fieldings zurückgehen.«
Sie ging ins Bad, um sich die Haare zu
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