Teuflische Stiche
repariert worden. Die Hausverwaltung hatte sich noch nicht um den Schaden gekümmert. Mit der rechten Schulter drückte Konnert gegen die Tür. Sie bewegte sich, blieb aber verschlossen. Er wollte keinen Lärm machen und versuchte es erneut, indem er nur wenig Schwung nahm. Mit einem kratzenden Geräusch lösten sich die Schrauben aus dem Holz. Am Ende des Wohnungsflurs schien Licht durch einen Türspalt.
»Hier ist Adi Konnert mit zwei Polizisten!«
Das Stöhnen verstummte.
»Können wir hereinkommen?«
Keine Antwort. Konnert betrat die Wohnung, schaltete die Deckenbeleuchtung ein und ging auf das Wohnzimmer zu. Vorsichtig öffnete er die Tür. Im Schein einer Stehlampe lag Stelzig unter seinem Kutschermantel auf dem Sofa. Sein Gesicht war leichenblass. Schweißperlen liefen in die zerzausten Haare. Mit weit aufgerissenen Augen sah der Freiherr die Polizisten an. Neben ihm stand ein Abfalleimer, aus dem es unangenehm roch. Mehrere leere Wasserflaschen lagen unter dem Couchtisch, auf dem ein benutztes Glas stand. Von Eck stöhnte wieder.
»Ruft einen Rettungswagen!« Konnert beugte sich zu dem Kranken hinunter. »Was ist passiert?«
»Verschwinden Sie! Ich brauche keine Hilfe. Ich werde nicht sterben.« Von Ecks Stimme war schwach, aber bestimmt.
Donnerstag, 28. März
Ein kühler Nordwestwind hatte in der Nacht die Temperaturen in die Nähe des Gefrierpunkts sinken lassen. Konnert stopfte sich ein Kissen in den Rücken und setzte sich im Bett auf. Es war noch dunkel. Irgendein Nachbar öffnete sein Garagentor. Kurz darauf heulte ein Motor auf. Das Geräusch verlor sich in der Ferne. Konnert lehnte seinen Kopf an die Wand. In Gedanken formulierte er Sätze, mit denen er seinen Urlaubsantrag so begründen konnte, dass eine Ablehnung unmöglich sein würde. Jedes Wort prüfte er auf seine Tauglichkeit. Ihm fielen nicht viele Argumente ein.
Als er im Dämmerlicht die Konturen seines Schlafzimmerschranks immer deutlicher erkannte, schlug er die Bettdecke zurück und stand auf. Seine Morgenroutine lief ab, ohne dass er sich dessen bewusst wurde. Mechanisch fuhr er zum Backshop. Eine ihm fremde Verkäuferin gab ihm vier Brötchen und die Zeitung. An seinem Stammplatz saß der Mann, der sich ihm mit Gregor Geiger vorgestellt hatte. Er grüßte ihn, indem er eine knappe Verbeugung andeutete.
Zahra wartete schon. Auf dem Tisch in der Küche ihrer Zweizimmerwohnung brannte eine Kerze neben einem Blumenstrauß. Kaffeeduft erfüllte den Raum. Zärtlich und voller Hingabe umarmte Zahra Konnert. Wieder hatte er den Eindruck, Energie fließe in sein Leben. Lange blieben sie so beieinander stehen. Ihm wurde warm ums Herz.
Wie selbstverständlich begann Konnert schon vor dem ersten Schluck Kaffee zu erzählen, wie er gestern Abend Sibelius von Eck gefunden und der sich mit letzter Kraft gegen jede Hilfe gewehrt hatte, dass er nicht angefasst werden wollte. »Er hat in einer rasend schnellen Sprache geschrien, die keiner gekannt hat. Es hat sich angehört, als würde er uns verfluchen. Zu dritt mussten wir ihn festhalten, damit der Notarzt ihm eine Beruhigungsspritze geben konnte. Dann ist er zusammengebrochen und hat sich wie ein Baby tragen und versorgen lassen.« Er deutete auch an, dass sie ihn wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig gefunden hätten. »Im evangelischen Krankenhaus habe ich bis weit nach Mitternacht auf ein Ergebnis der Untersuchungen gewartet. Die Ärzte der Intensivstation haben eine Vergiftung im letzten Stadium festgestellt und gemeint, die Symptome glichen denen einer Pilzvergiftung.«
Er erwähnte auch den Besuch bei seiner Tochter und berichtete vom Essen mit Alois Weis und dessen Informationen über den Freiherrn alias Stelzig und von der Demonstration und am Ende auch von seinem Entschluss, Urlaub zu nehmen.
Später, im Auto, wurde ihm bewusst, dass er die ganze Zeit geredet und Zahra ihm geduldig zugehört hatte, ohne selbst zu Wort gekommen zu sein. Es war ihm erst nur peinlich, dann fragte er sich, was ihn verleitet hatte, interne Ermittlungsergebnisse auszuplaudern.
Im Aufzug drückte Konnert sofort auf den Knopf für die vierte Etage. Kriminaloberrat Wehmeyer empfing ihn umgehend mit einem freundlichen »Komm rein, Adi!« und ließ ihn auf dem Besucherstuhl Platz nehmen. »Wie weit seid ihr?«
Mit fast den gleichen Sätzen, mit denen er Zahra die Ereignisse des letzten Nachmittags und Abends erzählt hatte, berichtete er nun seinem Vorgesetzten. Auch hier formulierte er zum Schluss
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