Texas
protestierte Miss Cobb. »Das waren Rechtsextremistinnen. Die findet man überall.«
»Vor allem aber in Dallas.«
Da das billigerweise niemand bestreiten konnte, sprach Steer weiter. »An jenem traurigen Tag im November 1963, als Kennedy den verhängnisvollen Besuch abstattete, war ich in der Vorhut. Ich war nicht in seiner Nähe, aber beim Frühstück hatte ich ihm die Dallas Morning News mit dem schrecklichen, völlig unsachlichen Angriff gezeigt. Wissen Sie, was seine letzten Worte an mich waren? >Wir reisen heute ins Reich der Irren.< Kurz darauf war er tot. Meiner Meinung nach hat ihn Dallas getötet.«
Wir fünf Texaner empfanden die Ereignisse von 1963 immer noch als Schande, und wir waren weltoffen genug, um zu erkennen, daß einige der arroganten Behauptungen von Professor Steer ins Schwarze trafen. Doch Steer, dem es offensichtlich Spaß machte, den texanischen Dünkel ein wenig zurechtzustutzen, kam jetzt erst richtig in Fahrt: »Es kam so weit, daß Johnson das Schlechteste an Texas im Gegensatz zum Besten an New England verkörperte. Texas war gegen die Rechte der Arbeiterschaft, wir waren dafür; Texas war ungebildet - die Stimme der Barbaren -, New England war gebildet - die Stimme der Akademiker. Mit Texas assoziierte man Cowboys und Erdöl, mit dem Norden Bibliotheken, Theater und Symphonieorchester. Texas war die wilde Grenze, Boston die traditionsbewußte Bastion ererbter Werte. Und am schwersten fiel es uns, die Tatsache zu akzeptieren, daß Texas protzig neureich war, während der Nordosten diesen Dünkel längst abgelegt hatte.«
Quimper war im Begriff zu explodieren, aber Steers nächste Worte schoben die Katastrophe noch etwas hinaus. »Ich gebe zu, daß Texas zu jener Zeit Energie, Reichtum und manchmal wertvolle Phantasie besaß. Aber es war kein sympathischer Staat, und nur wenige im Establishment mochten ihn.«
»Wie definieren Sie >Establishment« erkundigte sich Rusk.
»Ich meine die Meinungsbildner, die Organe, die uns unsere Geisteshaltung vorzeichnen. Zwei Zeitungen: die New York Times und die Washington Post. Die Magazine: Time, Newsweek und der Londoner Economist, die drei großen Fernsehstationen und eine Fachzeitschrift, das Wall Street Journal, dazu die Veröffentlichungen der namhaften Universitäten und Colleges.«
»Sind das diejenigen, die ein Urteil über Lyndon Johnson gefällt haben?« wollte Rusk wissen.
»Wir haben gefunden, daß er absolut indiskutabel ist.«
»Wird Ihr östliches Establishment Texas je akzeptieren?« erkundigte sich Quimper.
»Ja, wenn die Zeit Ihre Kanten abgeschliffen hat. Wenn Ihre Ölquellen versiegen und Sie uns nicht mehr mit Ihrem Ölgeld einschüchtern können. Entscheidend aber wird sein, ob eines Ihrer Colleges oder eine Ihrer Universitäten erstklassig werden kann. Wenn ja, dann wird das übrige Amerika vielleicht imstande sein, Ihre Extravaganzen zu tolerieren.«
Nach einer bedrohlichen Pause erhob sich Rusk, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sagte mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme: »Verschwinden Sie!«
Als Steer »Was? Wieso?« murmelte, verlor Rusk die Beherrschung und brüllte: »Verschwinden Sie, verdammt nochmal!« und ich sah entsetzt, daß er versuchte, unseren Gast am Kragen zu packen.
»Das können Sie nicht tun!« rief ich und trat zwischen die beiden Männer, aber Quimper stürzte ebenfalls auf uns zu, als wollte auch er den Mann aus Harvard hinauswerfen. Ich sah Miss Cobb hilfesuchend an, doch zu meinem Entsetzen feuerte sie die Männer an.
Bevor Rusk oder Quimper Hand an Steer legen konnten, drängte ich unseren taktlosen Gast zur Für hinaus und schickte ihn in die Richtung, in der ich seinen Sohn vermutete. Als ich zurückkehrte, sah ich meine Kollegen vom Sonderstab vorwurfsvoll an, doch keiner bereute, was er getan hatte. Der erneute Angriff des Establishments auf die Ehre von Texas hatte sie tödlich beleidigt. Sie freuten sich darüber, daß sie ihn hinausgeworfen hatten.
»Warum sind Sie so wütend geworden?« fragte ich.
Rusk antwortete: »Wenn ein Yankee L.B.J. verunglimpft, verunglimpft er Texas. Und wenn er Texas beleidigt, beleidigt er mich.«
KAMPF UND WANDEL
Im Lauf ihrer Geschichte waren die Texaner meist arme Leute.
Als die Garzas 1724 von Zacatecas nach Norden pilgerten, waren sie faktisch Sklaven mit elenden Unterkünften und ohne ausreichende Nahrung. Die ersten Quimpers lebten in einer Höhle und hatten fast ein Jahr lang kein Brot zu essen. Die Macnabs kamen nur durch
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