THARKARÚN – Krieger der Nacht
Naimes Worte noch lange nach, nur Hergs leise Nähgeräusche unterbrachen die Stille. Ein sanfter Wind ließ die Zeltbahn am Eingang leicht erzittern, einige wenige Sonnenstrahlen tanzten auf dem Boden.
»Wie schön«, sagte Elirion schließlich, »ein wunderschönes Lied. Und auf seine Weise vornehm, auch wenn das vielleicht nicht das passende Wort ist. Wie schade, dass die Völker das nicht verstanden haben.«
Naime seufzte und stellte die Tasse neben sich auf den Boden. »Es war auch unsere Schuld«, sagte sie selbstkritisch. »Wir haben dieses Lied oft gesungen, aber nicht immer danach gehandelt. Häufig haben wir vergessen anzuklopfen, wie konnte man uns da willkommen heißen? Aber mein Vater glaubt wirklich an diese Dinge, Elirion. Er wird mit euch ziehen. Wir leben auf eurem Land, wir werden an eurer Seite kämpfen und euren Frieden verteidigen.«
Beide waren jetzt sehr ernst. Elirion malte mit dem Finger etwas auf den Boden und scheute sich irgendwie, Naime anzusehen. »Und wie denkt dein Bruder darüber?«
»Er ist ein stolzer Mann«, antwortete Naime und wieder trat ein zärtliches Lächeln auf ihre Lippen. »Uns alle zu beschützen, hält er für seine wichtigste Pflicht. Er hasst dich nicht, Elirion, auch wenn es vielleicht so wirkt. Er hat nur Angst, dass du unserem Volk schaden könntest wie all die anderen in der Vergangenheit. Wenn er erst sieht, dass es diesmal nicht so ist, wird er sein Verhalten dir gegenüber ändern. Auf dem Schlachtfeld ist er ein wagemutiger Kämpfer und er hat auch ein großes Herz. Wenn ihr beide es schafft, den anderen besser zu verstehen, werdet ihr einander auch schätzen lernen.«
»Das wünsche ich mir sehr«, sagte Elirion und er meinte es ehrlich. Er bedauerte, dass Brennus ihm gegenüber so feindselig eingestellt war, umso mehr, als er bemerkt hatte, dass der junge
Shardariekrieger intelligent, mutig und sehr ehrenvoll war. Solche Leute bewunderte er und so jemanden hätte er in dieser Notlage gerne als Freund gehabt. Er hätte sich gewünscht, Brennus würde versuchen ihn zu verstehen, statt ihn zu verurteilen, wobei er manchmal das Gefühl hatte, er verstünde ihn nur allzu gut. Tag für Tag wurde Elirion mehr bewusst, dass er tatsächlich auch der egoistische, überhebliche Menschenkönig war, den Brennus mit Verachtung in ihm gesehen hatte. Für diese dunklen Seiten seines Charakters schämte er sich, aber in diesem Sinne war er als Prinz und Thronfolger von König Zarak Fudrigus erzogen worden. Für ihn war diese Denkweise völlig normal. Aber jetzt, da er durch Allan Sirio, Naime und die anderen Shardari gelernt hatte, dass man auch mit Bescheidenheit und Großherzigkeit durchs Leben gehen konnte, begann er umzudenken.
»So wird es kommen!«, sagte Naime und legte ihre auf Elirions Hand.
Es war nicht das erste Mal, dass sie einander berührten. Naime hatte in ihrer herzlichen Art schon öfter seine Hand oder seinen Arm gepackt, seinen Umhang, aber noch nie hatte er ihre Berührung so intensiv empfunden, ein unbekanntes, prickelndes Gefühl, das ihm den Rücken herunterlief. Er unterdrückte den Impuls, ihre Hand wegzuschieben, und zugleich den Wunsch, Naime an sich zu ziehen. Was geschah bloß mit ihm? Sie schien das sehr gut zu wissen, mehr als er selbst, denn sie zog ihre Hand zurück und flüsterte: »Entschuldige bitte.« Das erste Mal, seit Elirion sie kannte, wirkte sie verlegen. Und dabei noch schöner als sonst.
Ohne nachzudenken, umfasste er ihre Schultern, zog sie an sich und küsste sie sanft auf den Mund. Als er sich wieder von ihr löste, schien Naime verwirrt, aber nicht verärgert oder gar angewidert. Elirion musste sich zurückhalten, sonst hätte er sie gleich noch ein zweites Mal geküsst.
»Entschuldige dich nicht«, sagte er, und wieder erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht.
Im Hintergrund des Zeltes legte Herg die geflickte Hose und die Nadel beiseite und schüttelte seufzend den Kopf.
Allan Sirio führte den monotonen Singsang der zwanzig Magier an, die einen Kreis um Shaka Aleks Bett gebildet hatten. In Abwesenheit des Magus war er der mächtigste unter ihnen und Shaka brauchte dringend neue Energie, doch der Magus fühlte sich noch nicht bereit, sie ihm zu geben. Zwar hatte er sich beinahe erholt, aber er war noch längst nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Seit die Gruppe der acht im Lager der Shardari angekommen war, lag der Dämon im Bett und hatte das Bewusstsein nicht wieder erlangt. Seine magische Balance war völlig
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