THARKARÚN – Krieger der Nacht
Durchgang verwehren sollten, und das ist sein dritter Fehler. Aber manche Zauber hat er nicht zerstört, weil man sie nur überwinden kann wie Prüfungen. Es sind acht, einer für jedes Volk. Die größten Zauberer aus alter Zeit haben sie geschaffen, aber ihr könnt sie überwinden, denn Tharkarúns vierter Fehler ist es, dass er euch unterschätzt. Erinnert euch dagegen an das, was ich euch vor langer Zeit über eure Stärken gesagt habe. Denkt daran, dass ihr Kinder aller Völker seid und euch gegen sie auflehnt. Die Prophetin hat gesagt, nur ihr könnt es schaffen. Und wie immer hat sie sich nicht geirrt.«
Keiner nickte, doch das mussten sie auch nicht, er wusste auch so, dass sie begriffen hatten.
»Gehen wir«, sagte Shaka.
Die Nacht hatte sich wie ein Laken über die Große Mauer gelegt. Alle Truppen hatten sich mit dem Mut der Verzweiflung außerhalb des Schutzes dieses Bollwerks aufgestellt. Nach langer Zeit Seite an Seite, alle Völker vereint. König Gavrilus Sulpicius mit seinem Sohn Dhannam. Elirion Fudrigus, der erste König der Menschen, der einen Zauberstab trug wie ein Magier, hinter ihm der schweigsame Herg und neben ihm der getreue Huninn. Brennus Astair, Befehlshaber über die Shardari, kalt und vernünftig wie immer, das freundliche Jungengesicht mit den braun geschminkten Augen von dem üblichen schwarzen Tuch verhüllt, zwischen seinen Schwestern Naime und Vàna, die heimlich die Hand ihres Verlobten Chatran hielt. Die kampfbereiten Ritter der Finsternis in ihren rot-schwarzen Uniformen: Vaskas Rannaril fuhr mit dem Daumen über die Rillen am Griff seines Krummsäbels und seine violetten Augen blickten gleichmütig, weil er schon viele Schlachten erlebt hatte. Und dann die Oberhäupter der Völker: die beiden Feenköniginnen in zwei identischen silbernen Rüstungen,Viyyan Lise in einem mit Saphiren verzierten goldenen Panzer, der oberste General der Goblins in seiner Paradeuniform, der Präsident der Gnomenrepublik mit den vielen Rangabzeichen auf den Schultern, der Große Bergwerker mit der Spitzhacke in der Faust.
Alle waren sie dort und andere schauten wachsam von den Mauern herab, jederzeit bereit einzugreifen, falls das notwendig wurde. Ulf Ghandar drängte sich mit einem Haufen Kanoniere und zwei Ingenieuren vom Tempel der Finsternis um eine neue Bombarde. Lisannon Seridien hielt mit einiger Mühe eine endlose Schar von Bogenschützen zusammen. Und hinter der Mauer verborgen warteten Zauberer, den Stab schon in der Hand. Lay Shannon lief im Hof auf und ab. Er war von der Taille aufwärts nackt, und die schwarzen Linien, die er sich selbst aus Gier nach Wissen und Macht beigebracht hatte, hoben sich nur zu deutlich von seiner bleichen Haut ab. Araneus Calassar las in einem Büchlein, das er aus seiner unverzichtbaren Tasche gezogen hatte.
Allan Sirio lächelte unbeirrbar wie immer, als erwartete ihn nicht mehr als eine Partie Khandan.
Alle warteten schweigend.
Selbst wenn er gewollt hätte, hätte es General Amorannon Asduvarlun nicht in seinem Zimmer im Bett gehalten, während sich dort draußen das abspielte, was das letzte Kapitel der Geschichte sein konnte. In den vergangenen beiden Tagen hatten die Wundschmerzen langsam nachgelassen. Möglicherweise hatte er sich auch einfach so sehr an die Qualen gewöhnt, dass er sie weniger spürte. Shannon hatte versucht, ihm zu verbieten, auch nur einen Finger zu rühren, aber es war ihm nicht gelungen, und angesichts einer solchen Starrköpfigkeit hatte er dem General seinen Willen lassen müssen. Eigentlich hätte Asduvarlun seinen Posten auf der Mauer auf seinen eigenen Beinen erreichen wollen, aber darüber hatte Shannon nicht mit sich reden lassen. Zwei Wachen hatten ihn auf einer Trage hinbringen müssen.
Während der letzte Schein der Dämmerung am Horizont verblasste, suchten Asduvarluns graue Augen das Gelände unter ihnen nach einem Zeichen ab, dass nun alles beginnen würde. Er umklammerte fest den Griff von Ligiya, die kampfbereit an seiner Seite hing. Dieses magische Schwert konnte Tharkarún verwunden, es war vielleicht die mächtigste Waffe, die jemals geschmiedet wurde, doch jetzt lag sie kraftlos in den Händen seines Besitzers.
Ein Windhauch wirbelte zu Füßen der Großen Mauer hoch, streifte die roten Steine und erreichte den General, der tief Atem holte. Der Wind war kalt und trocken und angefüllt mit dem inzwischen unverwechselbaren stechenden Geruch. Asduvarlun wusste genau, dass auch die anderen auf der Mauer
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