THARKARÚN – Krieger der Nacht
fragenden Blick zu und Arinths schwarze Augen suchten bei ihm eine stumme Bestätigung seiner Vermutung.
»Wenn sie versucht, eine Statue zu hypnotisieren«, sagte Morosilvo leise, »ist sie entweder übergeschnappt oder sie hat tatsächlich alles begriffen.«
Und Ametista versuchte wirklich, die Statue zu hypnotisieren. Sogar aus der Entfernung konnte Morosilvo wahrnehmen, wie stark die Macht war, die sie einsetzte. Und er wurde sich bewusst, dass die Faunin nur einen verschwindend kleinen Teil ihrer ungeheuren Fähigkeiten gebraucht hatte, um seinen eigenen Widerstand zu brechen. Jetzt setzte sie ihre Kraft zur Gänze ein, und Morosilvo hätte gewettet, dass auch seine Gefährten instinktiv den starken Sog verspürten, geradewegs zu diesem Tor zu gehen und es zu öffnen, hätten sie nur gewusst, wie. Er jedenfalls zweifelte nicht, dass eine solche Beschwörungskunst sogar Steine bewegen konnte.
Die anderen beobachteten die Faunin verblüfft, nur der Magus blickte unerschütterlich wie immer, und unterhalb der monumental aufragenden Festung herrschte gespannte Stille.
Irgendwo im Süden wurde vielleicht der letzte Teil der großen Schlacht geschlagen, möglicherweise standen die acht Völker gerade jetzt kurz vor der endgültigen Niederlage. Und das Tor öffnete sich nicht. Man konnte Ametistas schönem Gesicht die Anstrengung ansehen, sie legte zweifellos ihre ganze Kraft in diesen Versuch. Morosilvo ertappte sich bei dem Gedanken, dass er
noch nie einer so begabten Hypnotiseurin begegnet war wie ihr, und dennoch fragte er sich, ob ihre Kraft genügen würde. Ametista biss die Zähne zusammen, ihre Kiefer zitterten und trotz der Kälte lief ihr ein Schweißtropfen von der Stirn.
»Los, öffne es!«, schien sie zu sagen.
Vielleicht war es Einbildung: Der Ort und ihre Situation waren eindrucksvoll genug, um jedem die Sinne zu verwirren. Plötzlich aber schien es Morosilvo, als sei ein Aufleuchten durch die pupillenlosen Augen der Statue gezuckt, als hätten sie sich plötzlich belebt. Für einen winzigen Augenblick wirkte die reglose Steinfigur wie ein lebendiges Wesen. Ametista bewegte sich nicht von der Stelle und hielt ihre Augen starr auf die Statue gerichtet. »Öffne es!«, wiederholte sie und diesmal vernahm jeder ihre tiefe, einschmeichelnde Stimme.Wieder zuckte das seltsame Aufleuchten durch die Augen der Statue. Ein rascher Blick zwischen ihm und Thix Velinan bestätigte Morosilvo, dass er es nicht als Einziger bemerkt hatte.
Dann hörten sie ein Knirschen und ein qualvolles Stöhnen wie von einem Untier, das aus langem Schlaf erwacht und überhaupt nicht glücklich darüber ist. Morosilvo und Thix brauchten einige Sekunden, bis sie merkten, dass es sich um die Angeln des großen schwarzen Tores handelte, welches sich erst zum zweiten Mal seit seinem Bestehen ganz langsam öffnete und den Blick auf einen ebenfalls schwarzen und leeren Innenraum freigab. Wie der Magen einer riesigen Kreatur sah dieser Innenraum aus. Ametista blieb stehen und ließ die Statue nicht aus den Augen, bis sich die Türflügel ganz geöffnet hatten und mit einem letzten dumpfen Schlag innehielten. Dann erst wich sie einen Schritt zurück und schwankte, als hätte sie das, was sie gerade getan hatte, zu viel Kraft gekostet. Farik eilte ihr zu Hilfe. Die Faunin schien verärgert darüber zu sein, dass sie seine Unterstützung brauchte, richtete sich hastig auf und sammelte sich selbstbewusst.
»Danke«, sagte sie knapp zu Farik und der Goblin entfernte sich wortlos.
Alle Blicke waren auf sie gerichtet, aber Ametista gelang es, nicht allzu müde oder selbstzufrieden zu wirken. »Ich habe meine Zweifel, dass das Tor lange geöffnet bleibt«, bemerkte sie. »Und ich bin fast sicher, dass es mir nicht noch einmal gelänge, es zu öffnen.«
Der Magus nickte. Sie hatten keine Zeit für Gespräche. Der Schlund des Undurchdringlichen Horts hatte sich weit geöffnet, und ihnen blieb nun nichts anderes übrig, als hineinzustürzen.
Der erste Schutzzauber war anscheinend nicht der von Zwergen geschaffene gewesen, wie alle anfangs geglaubt hatten, sondern der der Faune. Die erste Prüfung war bestanden. Doch drinnen warteten noch sieben weitere auf sie und außerdem ein verschlungenes Labyrinth aus Räumen und Fluren, aus denen niemand wieder herausfinden sollte. Doch ihre Welt erwartete ein noch viel schlimmeres Schicksal, wenn sie diesen Schritt nicht taten.
Sie gingen schweigend vorwärts.
Die magischen Bombarden überzogen oben
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