The American Monstershow in Germany
Abenddämmerung bereits angebrochen. Maik ging mit dem Tempo etwas herunter und schaltete die Scheinwerfer ein. In seinem Kopf wälzte er noch immer die Gedanken an den Traum der vergangenen Nacht von der einen zur anderen Seite, ohne nennenswerte Fortschritte bei dessen Wiederbelebung zu erzielen. Er war im Auto durch Felsengrund gefahren, dann in diesen Wald gekommen, und danach… brach die schwache Verbindung zum Unterbewusstsein zusammen. Aber es war wichtig, schließlich konnte die Katastrophe jeden Augenblick über ihn hereinbrechen. Maik glaubte nicht an den alten Spruch, Träume seien Schäume. Träume waren etwas verdammt Reales, wenn nicht eine Botschaft aus der Vergangenheit, dann eine Nachricht aus der Zukunft.
Welches Bruchstück fehlte in seinem Mosaik?
Schweiß trat auf Maik Heinzes Stirn trotz des Schattens, den die hohen Fichten spendeten. Er spürte fast körperlich die drohende Gefahr.
Verfolgte ihn jemand?
Instinktiv schaute er sich um. Aber er war hier weit und breit der einzige Autofahrer.
Dann kam die Kurve. Es war eine scharfe Linkskurve, schlecht einzusehen, da die Bäume die Sicht auf die Fortführung der Straße nahmen. Aber Maik wurde plötzlich schlagartig bewusst, dass es hinter dieser Kurve gar keine Straße gab. Man nahm diese Kurve, und dann erwartete den ahnungslosen Autofahrer eine Mauer.
Maik hatte die Szene aus seinem Traum plötzlich wieder vor Augen, als liefe ein Film vor ihm ab. Er hatte am Steuer dieses riesigen amerikanischen Straßenkreuzers gesessen (gewiss war es ein Chevi), war durch Felsengrund gefahren, an dem schiefliegenden Ortseingangsschild vorbei, und hatte diesen Wald erreicht. Er war im Traum nur noch ein wenig düsterer gewesen, und Vögel hatten auch nicht gesungen. Aber es war bestimmt derselbe Wald gewesen. Dann war die Kurve gekommen. Er hatte das Lenkrad eingeschlagen, doch als er die Kurve halb durchfahren hatte, stand plötzlich die Mauer dort, eine Betonwand von mindestens zwei Metern Höhe. Er hatte versucht zu bremsen, aber es war zu spät gewesen. Der Wagen war mit etwa 60 km/h gegen die Mauer geprallt. Dies war der Augenblick, als er erwacht war.
Maik traf die Erkenntnis wie ein Schlag auf den Solar Plexus. Allerdings traf sie ihn zu spät, um vernünftig zu reagieren. Er befand sich praktisch schon in der Kurve. Eine Chance, weiter geradeaus zu fahren, gab es nicht, denn dort standen die hohen Fichten, bereit, das Fahrzeug zu zermalmen. Doch nach links abzubiegen, hatte auch keinen Sinn, dort war die Mauer. Dort musste die Mauer sein, schließlich hatte er sie in seinem Traum deutlich gesehen, bevor er dagegen geprallt und erwacht war. Es half nur noch eines: bremsen. Bremsen und hoffen, dass er nicht die Kontrolle über den Wagen verlor, der leider nicht mit ABS ausgerüstet war.
Von Angst und düsteren Visionen fast betäubt, trat Maik die Bremse schlagartig nieder. Es war ein Wunder, dass er sie nicht durch das Bodenblech des Wagens drückte.
Durch die Wucht der plötzlichen Bremsbeschleunigung wurde Maik in seinem Gurt nach vorn geschleudert. Er verlor für Bruchteile einer Sekunde die Kontrolle und verriss das Steuer nach links. Dadurch geriet der Opel ins Schleudern und kam auf die gegenüber liegende Fahrspur. So trieb der Wagen steuerlos in die Linkskurve hinein. Da war keine Mauer. Maik sah es und hätte am liebsten laut aufgelacht. („Wie kann man nur solchen Unsinn glauben?“) Aber zum Lachen war es zu spät.
Auf der linken Fahrspur kam ihm ein Bus entgegen. Es war ein zweistöckiger Reisebus mit einer getönten Panoramafrontscheibe. Der Busfahrer starrte für einen Augenblick zu lang auf den Wagen, der ihm in der Kurve urplötzlich entgegenkam, um durch Bremsen das Unheil noch abwenden zu können.
Maik sah, wie sich die Münder einiger der vorn sitzenden Fahrgäste auf dem Oberdeck zu Schreckensschreien öffneten. Ein Werbeprospekt hatte ihnen eine unvergessliche Erlebnisfahrt versprochen. Dieses unvergessliche Erlebnis sollte jetzt stattfinden. Eine Frau schlug die Hände vor das Gesicht, um nicht sehen zu müssen, was unweigerlich passieren würde. Der Mann neben ihr zückte geistesgegenwärtig seine Kamera. Schließlich wurde einem so etwas nicht alle Tage geboten.
Maik riss die Fahrertür auf. Er wollte abspringen, um dem Unvermeidlichen zu entgehen, doch hatte er vergessen, dass er angegurtet war.
Als der Opel gegen den Bus prallte, ging Maik durch den Kopf, dass es doch nur ein Traum gewesen war, die Mauer in der
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