The Carrie Diaries - Carries Leben vor Sex and the City - Band 1
in einem lachsfarbenen Ballkleid zeigt. Der Ausdruck in ihren großen braunen Augen ist Ehrfurcht gebietend, und ich bin mir fast sicher, dass ich diese Augen schon einmal gesehen habe. Aber wo und wann soll das gewesen sein?
George schlendert auf einen Barwagen aus Messing zu und hält eine Flasche hoch. »Gläschen Sherry gefällig?«
»Ist es nicht noch ein bisschen früh für Alkohol?«, flüstere ich und kann kaum den Blick von dem Ölgemälde reißen.
»Im Gegenteil«, flüstert George zurück. »Bunny trinkt um diese Zeit immer Sherry. Und sie kann ziemlich ungehalten werden, wenn man nicht mittrinkt.«
»Dann ist, äh, Bunny wohl eher nicht der Typ harmloses niedliches Tantchen?«
»Nein, eher nicht.« George sieht mich amüsiert an und reicht
mir ein mit bernsteinfarbenem Sherry gefülltes Glas aus geschlifenem Bleikristall. »Manche Leute behaupten sogar, sie sei ein Monster.«
»Wer behauptet so was?«, fragt eine herrische Stimme. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Bunny eine Frau ist, hätte ich sie für eine Männerstimme gehalten.
»Hallo, alter Drache!« George geht mit ausgebreiteten Armen auf sie zu und küsst sie zur Begrüßung auf beide Wangen.
»Und wer ist das?«, fragt sie und zeigt mit dem Finger auf mich. »Wen hast du mir jetzt schon wieder ins Haus geschleppt? «
George, der an ihren derben Humor gewöhnt zu sein scheint, lacht gutmütig. »Carrie«, sagt er voller Stolz, »darf ich vorstellen? Das ist meine Tante Bunny.«
Ich nicke benommen und halte ihr die Hand hin. »Guten Tag, Bu… Bu… Bunny.« Ich bringe den Namen kaum über die Lippen.
Bunny ist Mary Gordon Howard.
Mary Gordon Howard nimmt so vorsichtig auf der Couch Platz, als wäre sie eine Puppe aus kostbarstem Porzellan. Sie ist viel zerbrechlicher, als ich sie in Erinnerung habe, aber dann fällt mir wieder ein, dass George gesagt hat, sie sei schon achtzig. Trotzdem schüchtert sie mich noch genauso ein wie damals in der Bibliothek, und als ich jetzt mit George vor ihr stehe, fühle ich mich wieder wie ein kleines Schulmädchen.
Ihre weißen, über der Stirn auftoupierten Haare sehen immer noch kräftig und voll aus, aber ihre Augen können ihr Alter nicht verleugnen. Sie sind von einem verwaschenen Braun, als hätte die Zeit sie ausgebleicht. »So, meine Liebe, nun aber
zu dir.« Sie nimmt einen Schluck von ihrem Sherry und leckt sich über die Lippen. »George hat mir erzählt, du willst Schriftstellerin werden?«
Oh nein. Nicht schon wieder. Meine Hand zittert, als ich mein Glas hebe und einen Schluck trinke.
»Sie will nicht Schriftstellerin werden, sie ist es schon«, mischt George sich ein und strahlt vor Stolz. »Ich habe ein paar ihrer Kurzgeschichten gelesen. Sie hat wirklich Talent und …«
»Was du nicht sagst«, seufzt Mary Gordon Howard unbeeindruckt. Und dann setzt sie zu einem Vortrag an, der sich anhört, als hätte sie ihn in ihrem Leben schon etliche Male gehalten. »Es gibt nur zwei Gruppen von Menschen, die in der Lage sind, herausragende Schriftsteller zu werden – und damit meine ich herausragende Künstler. Sie kommen entweder aus den oberen Schichten der Gesellschaft und haben die bestmögliche Bildung genossen oder aber sie sind Menschen, die in ihrem Leben großes Leid erfahren haben. Angehörige der Mittelschicht … «, ich bilde mir ein, dass sie mir einen missbilligenden Blick zuwirft, »gelingt es bisweilen, etwas hervorzubringen, dass zwar den Anschein erweckt, Kunst zu sein, in der Regel jedoch nicht über das Mittelmaß hinauskommt und letztlich kommerziell und wertlos ist. Seichte Unterhaltung, wie man so schön sagt.«
Ich nicke wie betäubt und sehe plötzlich das Gesicht meiner Mutter vor mir, die Wangen eingefallen, die wächserne Haut über den Schädelknochen gespannt.
»Ich … äh … Wir sind uns schon einmal begegnet.« Ich spreche so leise, dass meine Stimme kaum zu hören ist. »Bei einer Ihrer Lesungen in einer Bibliothek … in Castlebury.«
»Ach Kindchen, ich habe unzählige Lesungen in allen möglichen Kleinstädten gehalten.«
»Ich hatte Sie damals gebeten, ein Buch für meine todkranke Mutter zu signieren.«
»Ein trauriger Anlass. Ich nehme an, sie hat ihre Krankheit nicht überlebt?«, fragt sie.
»Nein, sie ist kurz darauf gestorben.«
George sieht mich mitfühlend an. »Und du wolltest ihr eine Freude machen, indem du Bunny gebeten hast, ein Buch für sie zu signieren?«
Plötzlich beugt Mary Gordon Howard sich vor, mustert mich so
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