The Green Mile
lesen, was fertig ist«, sagte ich. »Falls du es überhaupt entziffern kannst, heißt das.«
Jetzt nahm Elaine die Seiten und schaute sie an. »Du hast eine sehr schöne Handschrift, obwohl diese Hand offensichtlich müde ist«, sagte sie. »Damit werde ich keine Schwierigkeiten haben.«
»Wenn du fertig gelesen hast, werde ich den Rest geschrieben haben«, sagte ich. »Du kannst den Schluss in einer halben Stunde oder so lesen. Und dann … wenn du immer noch willst … möchte ich dir etwas zeigen.«
»Hat es etwas mit dem Ort zu tun, an den du fast jeden Morgen und Nachmittag gehst?«
Ich nickte.
Sie dachte eine scheinbar sehr lange Zeit darüber nach, nickte dann und erhob sich mit den Seiten in der Hand.
»Ich gehe hinten raus«, sagte sie. »Die Sonne ist heute Morgen sehr warm.«
»Und der Drachen ist besiegt«, sagte ich. »Diesmal von der Heldin.«
Elaine lächelte, neigte sich zu mir und küsste mich über der Augenbraue auf die empfindliche Stelle, an der ich immer wohlig erschauere. »Hoffen wir es«, sagte sie, »aber nach meiner Erfahrung wird man Drachen wie Brad Dolan nur schwer los.« Sie zögerte. »Viel Glück, Paul. Ich hoffe, du kannst besiegen, was auch immer in dir geschwärt hat.«
»Das hoffe ich auch«, sagte ich und dachte an John Coffey. Ich konnte nichts dafür, hatte John gesagt. Ich habe versucht, es aufzuhalten, aber es war zu spät.
Ich aß das Rührei, trank den Orangensaft und schob den Toast für später beiseite. Dann nahm ich meinen Füller und begann wieder zu schreiben, zum letzten Mal, wie ich hoffte.
Eine letzte Meile.
Eine grüne.
2
Als wir John in jener Nacht zurück zu Block E brachten, war sein Transport mit der Trage eine Notwendigkeit, kein Luxus. Ich bezweifle sehr, dass er es aus eigener Kraft durch den Tunnel geschafft hätte; geducktes Gehen erfordert mehr Energie als aufrechtes, und die Decke war für einen Riesen wie John Coffey verdammt niedrig. Ich mochte nicht daran denken, dass er dort unten zusammenbrach. Wie würden wir das auch noch erklären, zusätzlich zu der Erklärung, warum wir Percy ins Irren-Sakko gesteckt und in der Gummizelle eingesperrt hatten?
Aber wir hatten die Trage – Gott sei Dank -, und John Coffey lag darauf wie ein gestrandeter Wal, als wir ihn zur Treppe des Lagerraums fuhren. Dort stieg er hinunter, schwankte und blieb dann einfach mit gesenktem Kopf und schwer atmend stehen. Seine Haut war so grau, dass er aussah, als wäre er in Mehl gewälzt worden. Ich dachte, er würde spätestens am Mittag im Krankenrevier sein … das heißt, wenn er bis dahin nicht tot war.
Brutal blickte mich grimmig und bestürzt an. Ich erwiderte den Blick. »Wir können ihn nicht rauftragen, aber wir können ihm helfen«, sagte ich. »Du packst ihn unter dem rechten Arm, ich packe ihn unter dem linken.«
»Und ich?«, fragte Harry.
»Geh hinter uns. Wenn er rückwärtskippt, schiebst du ihn vorwärts.«
»Und wenn das nicht klappt, duck dich da hin, wo er deiner Meinung nach hinfällt, und mach die Landung für ihn weicher«, sagte Brutal.
»O Mann«, sagte Harry, »du solltest als Clown zum Zirkus gehen, so lustig, wie du bist.«
»Ich habe Sinn für Humor, das stimmt wohl«, gab Brutal zu.
Letzten Endes schafften wir es, John die Treppe hinauf zu bugsieren. Meine größte Sorge war, dass er vielleicht ohnmächtig wurde, aber das war nicht der Fall. »Geh um mich rum und schau nach, ob der Lagerraum leer ist«, sagte ich keuchend zu Harry.
»Was soll ich sagen, wenn er nicht leer ist?«, fragte Harry und zwängte sich an mir vorbei. »›Ich bin der Avon-Berater‹, und dann hierhin zurückfitzen?«
»Sei kein Klugscheißer«, brummte Brutal.
Harry öffnete die Tür einen Spalt und steckte den Kopf hindurch. Das kam mir wie eine Ewigkeit vor. Schließlich zog er den Kopf zurück und sah fast fröhlich aus. »Die Luft ist rein. Und es ist still. «
»Hoffen wir, dass es so bleibt«, sagte Brutal. »Komm, John Coffey, fast daheim.«
John schaffte es aus eigener Kraft, den Lagerraum zu durchqueren, aber wir mussten ihm die drei Stufen zu meinem Büro hinauf helfen und ihn dann durch die kleine Tür schieben. Als er wieder auf die Füße kam, atmete er rasselnd, und seine Augen hatten einen glasigen Schimmer. Außerdem – ich registrierte es mit Entsetzen – hatte sich der rechte Mundwinkel nach unten gezogen und wirkte wie Melindas Mund, als wir in ihr Zimmer getreten waren und sie im Bett gesessen hatte, gestützt von den
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