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The Green Mile

The Green Mile

Titel: The Green Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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»Aber eine so kleine? Mann, das bezweifle ich.«
    »Aber dorthin ist sie gegangen«, sagte Brutal. »Davon bin ich felsenfest überzeugt.«
    »Ich begreife nicht, wie du das glauben kannst.«
    »Beug dich näher hin – keine Angst, ich halte dich – und puste in das Loch.«
    Ich tat, was er verlangte, hielt mich mit der linken Hand an einem der anderen Dachbalken fest und fühlte mich ein bisschen besser, als ich Halt hatte. Der Wind draußen heulte wieder; Luft drang durch dieses Loch und blies in mein Gesicht. Ich konnte den scharfen Atem einer Winternacht im südlichen Grenzland riechen … und noch etwas anderes.
    Der Geruch von Pfefferminz.
    Lasst nicht zu, dass Mr. Jingles etwas passiert, konnte ich Delacroix mit bebender Stimme sagen hören. Ich konnte es hören, und ich konnte die Wärme von Mr. Jingles spüren, als der Franzose ihn mir übergab, nur eine Maus, zweifellos klüger als die meisten anderen ihrer Gattung, aber trotzdem nicht mehr und nicht weniger als eine Maus. Lass nicht zu, dass der Bosnickel meiner Maus wehtut, hatte er gesagt, und ich hatte es versprochen, wie ich ihnen vor dem Ende immer alles verspreche, wenn der Gang über die Green Mile keine vage Vorstellung oder Hypothese mehr ist, sondern wirklich angetreten werden muss. Schickst du diesen Brief an meinen Bruder, den ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe? Ich verspreche es. Betest du fünfzehn Ave Maria für meine Seele? Ich verspreche es. Lässt du mich unter meinem Spitznamen begraben und ihn auf meinen Grabstein schreiben? Ich verspreche es. Das war die Art und Weise, wie man sie gut auf den Weg brachte, wie man dafür sorgte, dass sie geistig gesund auf dem Stuhl am Ende der Green Mile saßen. Ich konnte natürlich nicht all diese Versprechen einhalten, aber ich hielt das Versprechen ein, das ich Delacroix gegeben hatte. Der Franzose selbst hatte bitter büßen müssen. Der Bosnickel hatte Delacroix wehgetan, und zwar reichlich. Oh, ich wusste, was er verbrochen hatte, klar, aber keiner verdiente, was mit Eduard Delacroix geschah, als er in Old Sparkys grausame Umarmung fiel.
    Ein Geruch von Pfefferminz.
    Und noch etwas anderes. Weiter hinten in diesem Loch.
    Ich nahm mit der rechten Hand einen Federhalter aus meiner Brusttasche – mit der linken hielt ich mich immer noch an dem Balken fest -, und ich machte mir keine Sorgen mehr, dass Brutal unabsichtlich meine empfindlichen Knie berühren und mich kitzeln konnte. Ich schraubte mit einer Hand die Kappe des Federhalters ab, stieß dann die Spitze in das Loch und pulte etwas heraus. Es war ein winziger Holzsplitter, der leuchtend gelb gefärbt war, und ich hörte wieder Delacroix’ Stimme, so deutlich diesmal, dass sein Geist in dieser Zelle bei uns hätte sein können – in der Zelle, in der William Wharton so viel seiner Zeit verbringen sollte.
    He, ihr Jungs!, sagte die Stimme diesmal – die lachende, erstaunte Stimme eines Mannes, der vergessen hat, wenigstens für eine kleine Weile, wo er ist und was ihn erwartet. Kommt und seht euch an, was Mr. Jingles kann!
    »Allmächtiger«, flüsterte ich, und mir stockte der Atem.
    »Du hast noch einen Splitter gefunden, nicht wahr?«, fragte Brutal. »Ich habe drei oder vier gefunden.«
    Ich stieg hinab und leuchtete mit der Taschenlampe auf Brutals große Handfläche, die er mir hinstreckte. Darauf lagen einige Holzsplitter wie Mikadostäbchen für Elfen. Zwei waren gelb wie der Splitter, den ich gefunden hatte. Einer war grün, einer rot. Sie waren nicht mit Farbe gestrichen, sondern mit Crayola-Wachsmalstiften angemalt worden.
    »O Mann«, sagte ich mit leiser, bebender Stimme. »Es sind Stücke von dieser Spule, nicht wahr? Aber warum? Warum hier oben?«
    »Als Kind war ich nicht so groß wie jetzt«, sagte Brutal. »Ich wuchs am meisten zwischen fünfzehn und siebzehn. Bis dahin war ich ein Knirps. Und als ich zum ersten Mal zur Schule ging, fühlte ich mich so klein wie … nun, so klein wie eine Maus, kann man wohl sagen. Ich hatte schreckliche Angst. Weißt du, was ich gemacht habe?«
    Ich schüttelte den Kopf. Draußen raunte der Wind. In den Winkeln der Dachbalken erzitterten die Spinnweben in den federleichten Böen wie verrottete Spitze. Ich war noch nie an einem so sehr von Geistern heimgesuchten Ort gewesen, und dort, als wir auf die Splitter der Rolle schauten, die so viel Ärger gemacht hatte, begriff mein Kopf endlich, was mein Herz schon verstanden hatte, als John Coffey über die Green Mile gegangen

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