The Green Mile
Teufel.
Ich ließ mein Klemmbrett fallen, sprang aus der Zelle, die für Wharton bestimmt war, und zog meinen 38er. Zum zweiten Mal an diesem Tag vergaß ich die Infektion, die meinen Unterleib erhitzte. Ich habe nie angezweifelt, was die anderen über Whartons ausdrucksloses Gesicht und seinen leeren Blick erzählten, aber das war nicht der Wharton, den ich sah. Was ich sah, war das Gesicht eines Tiers – nicht das eines intelligenten Tiers, aber eines, das erfüllt war von Verschlagenheit … und Bösartigkeit … Freude. Ja. Er tat das, wozu er bestimmt war. Der Ort und die Umstände spielten keine Rolle. Das andere, was ich sah, war Dean Stantons hochrotes, anschwellendes Gesicht. Er starb gerade vor meinen Augen. Wharton sah die Pistole und drehte Dean darauf zu, damit ich ihn bei einem Schuss ebenfalls getroffen hätte. Über Deans Schulter hinweg forderte mich ein funkelndes, blaues Auge auf, zu schießen.
Teil drei
Coffeys Hände
1
Beim Durchblättern der Seiten, die ich schon geschrieben habe, fiel mir auf, dass ich Georgia Pines, wo ich jetzt wohne, als Pflegeheim bezeichnet habe. Die Betreiber wären nicht sehr glücklich darüber. In den Broschüren, die in der Lobby ausliegen und die an potenzielle Kundschaft verschickt werden, ist es »ein hochmoderner Wohnkomplex für Senioren«. Es gibt sogar ein Unterhaltungscenter – so steht es in der Broschüre. Für die Leute, die dort leben müssen (in den Broschüren werden wir nicht als »Insassen« bezeichnet, aber ich nenne uns manchmal so), ist es einfach der Fernsehraum.
Die Leute halten mich für unnahbar, weil ich tagsüber nicht oft in den Fernsehraum gehe, aber es sind die Sendungen, die ich nicht ertragen kann, nicht die Leute. Oprah, Ricki Lake, Carnie Wilson, Rolanda – die Welt fliegt uns um die Ohren, und all diese Leute interessieren sich nur dafür, wie Frauen in Miniröcken und Männer mit offen stehenden Hemden es miteinander treiben. Ach, zum Teufel, richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst, sagt die Bibel, also steige ich mal von meiner Kanzel, aber wenn ich meine Zeit mit Trailer-Trash und heruntergekommenem Abschaum verbringen wollte, würde ich zwei Meilen die Straße runter zum Happy Wheels Motor Court fahren, wo jede Freitag- und Samstagnacht die Polizeiwagen mit flackerndem Blaulicht und heulender Sirene hinrauschen. Meine besondere Freundin, Elaine Connelly, denkt genauso. Elaine ist achtzig, groß und schlank, sehr intelligent und kultiviert. Ihre Haltung ist immer noch kerzengerade, und sie hat klare Augen. Sie geht sehr langsam, weil mit ihren Hüften was nicht stimmt, und ich weiß, dass die Arthritis in ihren Händen ihr schreckliche Schmerzen bereitet, aber sie hat einen wunderbar langen Hals – fast schon einen Schwanenhals – und langes, schönes Haar, das auf ihre Schultern fällt, wenn sie es öffnet.
Vor allem hält sie mich nicht für absonderlich oder unnahbar. Wir verbringen viel Zeit miteinander, Elaine und ich. Wenn ich nicht in einem so grotesken Alter wäre, würde ich sie vermutlich als meine Herzensdame bezeichnen. Aber eine besondere Freundin zu haben – einfach so – ist gar nicht so übel und in gewisser Weise sogar besser. Viele Probleme und Liebeskummer bei Beziehungskisten zwischen Jungen und Mädchen sind bei uns einfach ausgebrannt. Und obwohl ich weiß, dass keiner unter, sagen wir mal, fünfzig mir das glauben wird, muss ich sagen, dass die Glut manchmal besser ist als das offene Feuer. Klingt seltsam, ist aber so.
Ich schaue also tagsüber nicht fern. Manchmal gehe ich spazieren, manchmal lese ich; doch im vergangenen Monat habe ich meistens meine Memoiren niedergeschrieben, umgeben von den Pflanzen des Wintergartens. Ich finde, in diesem Raum gibt es mehr Sauerstoff, und das hilft dem alten Gedächtnis auf die Sprünge. Und besser als Geraldo Rivera ist es allemal, das sage ich Ihnen.
Aber wenn ich nicht schlafen kann, schleiche ich manchmal nach unten und schalte den Fernseher an. Es gibt kein Home Box Office oder anderes On-demand-Fernsehen in Georgia Pines – ich schätze, das wäre für unser Unterhaltungscenter ein bisschen zu teuer -, aber wir haben normales Kabelfernsehen und daher auch den American Movie Channel. Das ist der Kanal (nur für den Fall, dass Sie kein Kabelfernsehen haben), auf dem die meisten Filme schwarz-weiß sind und sich die Frauen nicht ausziehen. Für einen alten Knacker wie mich ist das irgendwie beruhigend. In so mancher Nacht bin ich auf dem
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