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The Green Mile

The Green Mile

Titel: The Green Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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diesen Jungen zu töten, auf dessen Stirn noch nicht der Tau der Jugend getrocknet war … und der zufällig so weiß wie Jeff Davis war. Es hatte keinen Sinn, sich darüber zu beschweren, denn es war der Job des Anwalts, Wharton vor dem heißen Stuhl zu bewahren. Und es war unser Job, ihn sicher hinter Schloss und Riegel zu verwahren. Und am Ende würde Old Sparky ihn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bekommen, Anwalt hin oder her.

6
    Das war die Woche, in der Melinda Moores, die Frau des Direktors, aus Indianola nach Hause kam. Die Ärzte waren fertig mit ihr. Sie hatten ihre interessanten neumodischen Röntgenaufnahmen von dem Tumor in ihrem Kopf, sie hatten die Schwäche in ihrer Hand und die lähmenden Schmerzen registriert, von denen sie jetzt fast ständig gepeinigt wurde, und nun waren sie fertig mit ihr. Sie gaben ihrem Mann einen Haufen Pillen mit, die Morphium enthielten, und schickten Melinda zum Sterben nach Hause. Hal Moores hatte einige Urlaubstage aufgespart, nicht viele, damals bekam man nicht viele Urlaubstage, aber er nahm alle, die er hatte, damit er ihr bei dem, was sie zu tun hatte, helfen konnte.
    Meine Frau und ich besuchten Melinda drei oder vier Tage nach ihrer Heimkehr. Ich rief vorher an, und Hal sagte ja, ein Besuch sei prima, Melinda habe einen ziemlich guten Tag und würde sich freuen, uns zu sehen.
    »Ich hasse solche Besuche«, sagte ich zu Janice, als wir zu dem kleinen Haus fuhren, in dem die Moores die meiste Zeit ihrer Ehe verbracht hatten.
    »So geht es jedem, Schatz«, erwiderte sie und tätschelte meine Hand. »Wir werden es tapfer ertragen – und sie wird es ebenfalls ertragen.«
    »Das hoffe ich.«
    Melinda saß im Wohnzimmer in einem Streifen Oktobersonne, die für die Jahreszeit erstaunlich warm war, und meine erste, entsetzliche Wahrnehmung war die, dass sie neunzig Pfund abgenommen hatte. Das stimmte natürlich nicht – wenn sie so viel Gewicht verloren hätte, wäre sie kaum dort im Wohnzimmer gewesen, aber das war die erste Reaktion meines Gehirns auf das, was meine Augen meldeten. Ihr Gesicht war eingefallen, und ihre Haut war weiß und wirkte wie Pergament, das über die Knochen gespannt wurde. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Und zum ersten Mal sah ich sie in ihrem Schaukelstuhl, ohne dass sie irgendwelche Stoffreste zu einem Flickenteppich verarbeitete. Sie saß einfach nur da. Wie jemand in einem Bahnhof.
    »Melinda«, sagte meine Frau herzlich. Ich denke, sie war genauso geschockt wie ich – vielleicht noch mehr -, aber sie verbarg es hervorragend, wie manche Frauen das eben können. Sie ging zu Melinda, ließ sich neben dem Schaukelstuhl auf ein Knie nieder und ergriff eine Hand der Frau des Direktors. Während sie das tat, fiel mein Blick zufällig auf den blauen Kaminvorleger. Es kam mir in den Sinn, dass er die Farbe von verschrumpelten alten Limonen haben sollte, denn jetzt war das Zimmer einfach eine andere Version der Green Mile.
    »Ich habe dir etwas Tee mitgebracht«, sagte Janice. »Die Sorte, die ich selbst zusammenstelle. Man kann gut danach schlafen. Ich habe ihn in der Küche gelassen.«
    »Vielen Dank, meine Liebe«, sagte Melinda. Ihre Stimme klang alt und brüchig.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte meine Frau.
    »Besser«, sagte Melinda mit ihrer brüchigen, heiseren Stimme. »Nicht so, dass ich tanzen gehen möchte, aber heute habe ich wenigstens keine Schmerzen. Sie haben mir einige Tabletten gegen Kopfschmerzen mitgegeben. Manchmal wirken die sogar.«
    »Das ist doch gut, oder?«
    »Aber ich kann nicht richtig zugreifen. Irgendetwas ist mit meiner Hand passiert.« Sie hob sie an und betrachtete sie, als hätte sie die Hand noch nie gesehen, und dann ließ sie sie auf ihren Schoß sinken. »Irgendetwas ist geschehen … mit meinem ganzen Körper.« Sie begann lautlos zu weinen, und ich musste an John Coffey denken. Ich glaubte ihn wieder sagen zu hören: Ich habe dabei geholfen, nicht wahr? Ich habe dabei geholfen, nicht wahr? Wie ein Reim, den man nicht vergessen kann.
    Hal kam ins Wohnzimmer. Er zog mich zur Seite, und glauben Sie mir, ich war froh darüber. Wir gingen in die Küche. Er schenkte mir weißen Whiskey ein, heiße Ware, frisch aus dem Destillierapparat irgendeines Farmers. Wir stießen an und tranken. Der selbst gebraute Shine schmeckte grauenhaft, aber die Wärme im Magen war himmlisch. Dennoch winkte ich ab, als Moores gegen den Tonkrug tippte und wortlos fragte, ob ich noch einen Schluck wollte. Wild Bill

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