The Green Mile
Wharton war nicht mehr in der Gummizelle – jedenfalls im Augenblick nicht -, und man konnte sich in seiner Nähe noch weniger sicher fühlen, wenn man vom Alkohol benebelt war. Nicht einmal mit den Gitterstäben zwischen uns.
»Ich weiß nicht, wie lange ich das ertragen kann, Paul«, sagte Moores leise. »Ein Mädchen kommt morgens und hilft mir mit ihr, aber die Ärzte sagen, dass sie vielleicht die Kontrolle über ihre Ausscheidungsvorgänge verliert und … und …« Er konnte nicht weitersprechen, schluckte und kämpfte gegen die Tränen an.
»Versuch es durchzustehen, so gut es eben geht«, sagte ich, griff über den Tisch und drückte kurz seine zittrige Hand mit den Leberflecken. »Sag dir das jeden Tag und überlass den Rest Gott. Du kannst ja gar nichts anderes tun.«
»Vermutlich nicht, Paul. Aber es ist hart. Ich bete, dass du nie selbst herausfinden musst, wie hart.«
Er versuchte, sich zu sammeln.
»Erzähl mir jetzt, was es Neues gibt. Wie kommt ihr mit William Wharton zurecht? Und wie wirst du mit Percy Wetmore fertig?«
Wir sprachen eine Zeit lang über den Job und überstanden so den Besuch. Danach, auf der ganzen Heimfahrt, bei der meine Frau die meiste Zeit stumm, mit feuchten Augen und in Gedanken versunken auf dem Beifahrersitz saß, gingen mir Coffeys Worte durch den Kopf – etwa so schnell, wie Mr. Jingles durch Delacoix’ Zelle fitzte: Ich habe dabei geholfen, nicht wahr?
»Es ist schrecklich«, meinte meine Frau irgendwann tonlos. »Und keiner kann ihr helfen.«
Ich nickte beipflichtend und dachte: Ich habe dabei geholfen, nicht wahr? Aber das war verrückt, und ich bemühte mich, diese Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen.
Als wir auf unserem Hof hielten, brach Janice zum zweiten Mal ihr Schweigen – sie sprach nicht über ihre alte Freundin Melinda, sondern über meinen Harnwegsinfekt. Sie wollte wissen, ob er wirklich weg war. Wirklich weg, versicherte ich. Geheilt.
»Das ist schön«, sagte Janice und küsste mich über der Augenbraue, auf die Stelle, wo es auch jetzt wieder prickelte. »Vielleicht sollten wir mal wieder zusammen was anstellen. Wenn du Zeit und Lust hast, meine ich.«
Da ich viel von Letzterem und genug vom Ersten hatte, nahm ich sie an der Hand, führte sie ins hintere Schlafzimmer und zog sie aus, während sie den Teil von mir streichelte, der anschwoll und pochte, aber nicht mehr wehtat. Und als ich in ihr Süßestes hineintauchte, auf die langsame Weise, die sie mochte – die wir beide mochten -, dachte ich an John Coffeys Worte. Ich habe dabei geholfen, nicht wahr? Ich habe dabei geholfen, nicht wahr? Wie ein Liedfetzen, der einen erst in Ruhe lässt, wenn die Zeile komplett ist.
Als ich später zum Gefängnis fuhr, dachte ich daran, dass wir bald für Delacroix’ Hinrichtung proben mussten. Das erinnerte mich daran, dass Percy diesmal in der ersten Reihe stehen würde, und ich erschauderte. Ich sagte mir, dass ich mich damit abfinden sollte. Noch eine Hinrichtung, und wir würden Percy ein für alle Mal los sein … Aber die Gänsehaut blieb, als ob die Infektion, unter der ich gelitten hatte, überhaupt nicht geheilt wäre, sondern nur den Ort gewechselt hätte und jetzt nicht mehr meinen Unterleib kochte, sondern mein Rückgrat vereiste.
7
»Komm schon«, sagte Brutal am nächsten Abend zu Delacroix. »Wir machen einen kleinen Spaziergang. Du und ich und Mr. Jingles.«
Delacroix schaute ihn misstrauisch an und griff dann nach der Maus in der Zigarrenkiste. Er hielt sie auf der Handfläche und schaute Brutal aus schmalen Augen an. »Wovon Sie reden?«
»Es ist ein großer Abend für dich und Mr. Jingles«, sagte Dean, als er mit Harry zu ihnen stieß. Die Kette aus Würgemalen um seinen Hals hatte eine hässliche gelbliche Schattierung angenommen, aber wenigstens konnte er wieder sprechen, ohne dass es klang, als bellte ein erkälteter Hund eine Katze an. Er sah Brutal an. »Meinst du, wir müssen ihm die Ketten anlegen, Brutal?«
Brutal gab vor, darüber nachzudenken. »Nö«, antwortete er schließlich. »Er wird brav sein, nicht wahr, Del? Du und die Maus, ihr werdet beide brav sein. Schließlich tretet ihr heute Abend vor ein paar hohen Tieren auf.«
Percy und ich standen beim Wachpult und beobachteten die Szene. Percy hatte die Arme verschränkt, und ein leichtes, verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen. Nach einer Weile nahm er seinen Hornkamm aus der Tasche und begann, sein Haar damit zu bearbeiten. John Coffey schaute
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