The Homelanders, Band 1: The Homelanders - Stunde Null (Bd. 1) (German Edition)
Plötzlich waren alle Gedanken verschwunden, und mein Geist war nur noch darauf konzentriert, die Bewegungen der Kata perfekt auszuführen.
In großen, raubtierhaften Sprüngen, die mit kraftvollen Schlägen in die Luft gegen meine imaginären Gegner endeten, flog ich förmlich über die Bühne. Meine Fäuste schraubten sich fast zu schnell vor und zurück, um ihnen mit den Augen folgen zu können, und in blitzartigen Kombinationen schnellten auch meine Schläge mit geöffneter Hand nach vorn. Ich trat, drehte mich und trat wieder, sprang dann mit fast waagerechtem Körper hoch, um im Flug einen verheerenden Tritt gegen den Kopf des imaginären Gegners zu landen. Mit einem abwärts gerichteten letzten Hieb fiel ich auf den Boden. Ein Fausthieb, der direkt in Richtung Boden wirbelte und dem ich mit meinem niedersausenden Körper zusätzliche Kraft verlieh. Ich stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus – Kiai! –, mit dem ich sämtliche Spannung aus meinem Körper hinausschleuderte und in dem Schlag explodieren ließ, als meine Fingerknöchel die Oberfläche der polierten Holzdielen streiften.
Dann stand ich wieder aufrecht, drehte mich erneut und brachte mit einem Hackentritt, bei dem ich den Fuß hinter mir eindrehte, den Rest meines Körpers herum.
Über die Geräusche meiner Bewegungen hinweg konnte ich die Stille im Publikum hören. Ich spürte die auf mich gerichtete Aufmerksamkeit der Zuschauer, wie die kraftvolle Eleganz der Stellung sie fesselte. Dann sprang ich in einem schnellen Purzelbaum nach vorn und kam in einer Kombination aus Handkantenschlägen und einem Tritt mit einer Rückwärtsdrehung von 180 Grad zum Stehen. Irgendwer im Publikum – ich bin nicht sicher, wer, aber es war ein Schüler – ließ ein anerkennendes »Wow« hören, und der Rest der Zuschauer klatschte Beifall. Aber selbst in diesem Moment, als ich allmählich begriff, dass ich dabei war, die beste Kata meines Lebens zu zeigen, selbst als mir bewusst wurde, dass alle Augen im Publikum fasziniert auf mich gerichtet waren, ließ ich mich nicht ablenken und blieb vollkommen konzentriert. Ich war ganz bei mir selbst, ganz bei der Stellung. Ich dachte gar nichts. Da war nur Bewegung, nur Konzentration. Ich schlug, drehte mich und trat so schnell ich konnte, aber jeder Schlag war kraftvoll, jede Figur absolut präzise.
Jetzt war ich bereit für den letzten und gefährlichsten Teil der Kata . Ich war an der äußersten linken Seite der Bühne zum Stehen gekommen, so weit wie möglich von Beth entfernt. Ich nahm die Kranich-Stellung ein und stand vollkommen ruhig, das linke Knie bis auf Höhe der Taille angehoben, der Fuß zeigte nach unten. Meine linke Handkante schwebte über meinem linken Oberschenkel, die rechte Hand hielt ich vor das Gesicht. Noch eine Sekunde und ich würde aus der Kranich-Stellung in einem Feuerwerk aus Schlägen und Tritten über die Bühne fliegen. Im letzten Moment würde ich dann an der Stelle in die Luft springen, wo die Ziegelsteine aufgebaut waren – zwei aufrecht, der dritte darüber gelegt –, und einen blitzschnellen Schlag auf den oberen Stein landen. Wenn ich es genau richtig machte, mit all meiner Konzentration und all meiner Kraft, wenn ich meinen Geist darauf fokussieren würde, nicht auf den Stein, sondern direkt hindurchzuschlagen, würde ich den Ziegelstein mit der bloßen Faust in zwei Stücke teilen. Das war jedenfalls der Plan. Meine Fäuste waren gut trainiert, ich hatte schon vorher Ziegelsteine zerschlagen. Es ist nicht so schwer, wie es aussieht.
Aber als ich dort auf einem Bein stand, bereit für diese letzte Demonstration, wurde meine Konzentration durch einen schrecklichen Gedanken unterbrochen. Ich sah mich auf den Ziegelstein hinuntersausen und dann, in der allerletzten Sekunde, meinen Fokus verlieren. Zu spät, um die Faust zurückzuziehen. Ich müsste den schnellen Schlag auf den Ziegelstein ausführen. Aber ohne die ganze Kraft meines Geistes würde nicht der Stein, sondern jeder einzelne Knochen meiner Hand zerbrechen. So würde ich mich vor den Augen von Beth zum Idioten machen! Ich würde auf den Ziegelstein hinuntersausen und mir die Hand zertrümmern,mein kraftvolles Kiai! wäre nur ein hohes Aufheulen. Dann würde ich über die Bühne hüpfen, mir die zermatschte Hand halten und vor Schmerz schreien, während mich alle entsetzt und mit heimlicher Schadenfreude anstarrten.Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, würde vielleicht auch noch meine Hose runterrutschen.
Mein
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