The Homelanders, Band 2: The Homelanders - Auf der Flucht (Bd. 2) (German Edition)
noch: Es war ein fast Ehrfurcht gebietender Ort. An einer Wand hingen Zeremonienschwerter, an einer anderen eine große amerikanische Flagge. An der dritten Wand hingen die nach Rängen geordneten Gürtel, von Weiß bis Schwarz, darunter ein Spiegel, der die gesamte Länge des Raums einnahm. Eine Rigipswand teilte den Dojo vom Foyer ab, und oben auf dieser Trennwand standen kleine Holzfiguren von chinesischen Mönchen in coolen Karatepositionen. Manche von ihnen schwangen Waffen wie Kampfäxte oder Keulen. Damals, als ich noch ein Kind war, kamen mir all diese Dinge feierlich und wichtig vor, als seien sie Symbole eines großen Ideals, dem ich gerecht werden musste. Symbole einer mächtigen Tradition, von der ich ein Teil werden würde. Der Ort war fast wie eine Kirche für mich.
Mit der Zeit, als ich größer und älter wurde, sah ich die Karateschule dann mehr und mehr als das, was sie wirklich war: ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum der Stadt. Beengt, schlecht ausgestattet und auf gewisse Art sogar schäbig. Aber inzwischen hatte ich begriffen, dass das, was an diesem Ort groß, wichtig und mysteriös war, nichts mit dem Raum zu tun hatte, sondern mit den Idealen und den Lehrern, besondersmit Sensei Mike. Es hatte etwas mit seiner Auffassung, seinem Verständnis von Karate zu tun. Mike trug dieses Verständnis in sich, und indem er uns trainierte, gab er es an uns weiter. Hätten wir nur gelernt, wie man kämpft, wie man tritt und schlägt und so weiter, dann wäre der Ort so klein und schäbig gewesen, wie er aussah. Aber was wir wirklich lernten, war, uns zu disziplinieren, unseren Geist und unseren Körper zu kontrollieren, mit Anmut zu gewinnen, mit Mut zu verlieren und weiterzukämpfen, was auch passierte.
Wir lernten, achtsam zu sein – und das war vielleicht das Wichtigste von allem.
Ich will damit sagen, dass die Karateschule tatsächlich so groß, beeindruckend und Ehrfurcht gebietend war, wie sie mir damals als kleiner Junge erschien. Nur auf eine andere, tiefere Art, die ich erst noch begreifen musste. Wenn man einmal darüber nachdenkt, ist es mit vielen Sachen so.
An diesem Abend, es war ungefähr neun, saß ich auf dem Parkplatz der Eastfield Mall im Wagen und beobachtete den Dojo. Durch das Ladenfenster konnte ich sehen, wie die letzten Schüler ihre Trainingskämpfe machten.
Ich saß in Ricks Wagen, einem schicken roten Honda Civic. Er hatte ihn für mich an der Lake Center Mall abgestellt, dem Einkaufszentrum in der Nähe der Geistervilla, und war dann mit Josh zurückgefahren. So hatte ich für den Rest der Nacht einen fahrbaren Untersatz.
Jetzt schaute ich durch die Windschutzscheibe auf die Glasfront. Zwei Jugendliche, beide ungefähr in meinem Alter und beide mit einem braunen Gürtel, bekamen eine Lektion vom Meister. Mike trainierte mit ihnen Abwehrtechniken, die soaufgebaut waren, dass man dabei klassische Bewegungsabläufe lernt, die man später in richtigen Kämpfen anwenden kann. Einer der beiden Schüler versuchte, einen Schlag zu landen, und der andere blockte ihn ab oder wich ihm aus, um dann die Bewegungen und Griffe anzuwenden, mit denen er den Angreifer zu Boden ringen konnte. Danach wechselten sie die Seiten.
Ungefähr eine Million Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich sie beobachtete. Ich weiß nicht, wie oft ich im Dojo gewesen war und genau die gleichen Übungen gemacht hatte. Sehr oft auf jeden Fall. Ich wünschte, ich könnte da drinnen bei ihnen sein und Karate dazu nutzen, meinen Körper zu trainieren und Disziplin zu lernen, anstatt mich damit verteidigen zu müssen. Wenn ich zum Training im Dojo gewesen war, hatte ich mir immer vorgestellt, wie ich in einen Kampf geriet, üble Kerle zusammenschlug und Mädchen rettete, die in Schwierigkeiten waren – die üblichen Tagträume von Jungs eben. Aber jetzt, da ich tatsächlich kämpfen musste, wünschte ich mich zurück in den Dojo und zu meinen Tagträumen, wünschte, nie mehr einen wirklichen Kampf austragen zu müssen.
Und ich dachte über Mike nach. Ich sah ihm zu, wie er um die beiden Braungürtel herumsprang, ihre Bewegungen verfolgte und mit ihnen sprach, ihre Technik korrigierte und ihnen zeigte, wie sie es richtig machen mussten. Da ich zu weit weg war, konnte ich seine Stimme nicht wirklich hören, aber ich stellte mir vor, was er sagte: »Na los, ihr Armleuchter, konzentriert euch. Lernt, euren Geist zu beherrschen.«
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