The Hood
Gedanken überschlagen sich. Das sind die Täter. Es ist ein Drive-by. Er dreht den Zündschlüssel, und der Motor heult auf. Er wendet und tritt das Gaspedal durch. Während er hinter ihnen her rast, versucht er, das Nummernschild zu erkennen. Regen auf der Windschutzscheibe.
Es ist riskant. Verfolgungsjagden in hohem Tempo verlangen einhundert Prozent Konzentration. Wenn er einen Fußgänger anfährt, wird er ihn umbringen. Der Wagen schert nach rechts aus. Mit hohem Tempo um Ecken fahren ist haarig. Er beugt sich weit über das Steuer, versucht, die Bordsteinkante auszumachen, reißt das Steuer dann scharf herum. Bleib an ihnen dran, denkt er immer wieder. Das hier sind nicht irgendwelche kleinen Handtaschendiebe. Das sind bewaffnete Mörder, und sie sind eine Gefahr für die Allgemeinheit.
Er gelingt ihm über ein paar Blocks, aber ohne Heckleuchten ist es einfach unmöglich. Das Auto ist ein grauer, verschwommener Flecken in der Nacht.
»Hab sie verloren«, blökt er ins Funkgerät. »Fahren Richtung Kingsway.«
Die Gangster im Fond geben durch, dass sie die Bullen abgeschüttelt haben. Allerdings macht ein anderer Polizist sie in Richtung Kingsway aus. Als sie an ihm vorbeirasen, reißt er den Kopf herum und versucht verzweifelt, das Nummernschild auszumachen. Die ersten vier Zeichen kann er erkennen – S831 . Den Rest nicht. Nun nimmt auch er die Verfolgung auf, aber es ist zu spät. Sie fahren zu schnell. Durch die Heckscheibe registrieren die Gangster, dass sie den zweiten Verfolger abgeschüttelt haben. Der Honda verschwindet in der Dunkelheit. Der Fahrer ist in dieser Nacht sein Geld wert.
Kyle hat eine Schussverletzung in der Brust. Er ist in ausgesprochen schlechtem Zustand, als er vorsichtig zu einem Auto getragen und ins Manchester Royal Infirmary gefahren wird. Sein Freund am Steuer wirft immer wieder entsetzte Blicke auf all das Blut, das ihm aus Ohren, Nase und Mund rinnt. In der Notaufnahme bringen Ärzte ihn auf schnellstem Weg in den OP . Sie stellen fest, dass die Kugel Herz und Leber verletzt hat. Sein rechter Lungenflügel ist punktiert. Sie kämpfen eine halbe Stunde um sein Leben. Es ist zu spät. Seine Mutter und seine schwangere Frau halten ihn. Das hübsche Gesicht seiner Schwester Talitha ist vor Trauer verzerrt. Sie ergreift die Hand ihrer Mutter. Zwei Söhne durch Erschießen zu verlieren ist mehr, als jede Mutter ertragen kann, und Dexter, Kyles Bruder, wurde 2000 getötet. Die Gruppe kann sich nicht von dem Leichnam trennen. Am Boden zerstört sitzen sie in einem Nebenraum. Der Song »I’ll Be Missing You« ertönt wieder, und Puff Daddy singt für den erschossenen Rapper B. I. G. Ein Trauernder geht wütend den Korridor auf und ab. »Man überfällt keine Trauerfeier. Das darf man einfach nicht.«
Svensson beugt sich über das Polizeifunkgerät in der Küche, bestürzt über das, was er gerade gehört hat.
»Kyle Lewis ist tot.«
»Fuck«, sagt er laut. Er kann nicht fassen, dass er ferngesehen hat, als der Überfall stattfand. Er geht mit großen Schritten ins Wohnzimmer und stellt sich Sarah genau ins Bild. Sie blickt müde zu ihm auf und hört zu, als er mit den Ereignissen herausplatzt. Auch sie ist ein Bulle und hat schon so viel von Svenssons Arbeit aufgesaugt, dass sie wahrscheinlich bei der Quizshow Mastermind mit Merlins krimineller Karriere als Spezialthema mitmachen könnte. Svensson schießt aus dem Zimmer und ruft die Zentrale an.
»Können Sie mich zurückrufen?«, bittet er den Telefonisten.
»Nein, das kann ich nicht«, faucht der Telefonist zurück. »Hier ist die Hölle los, und die Einzelheiten werden gerade über Funk durchgegeben.«
Svensson hat das bei anderen Mordfällen selbst schon erlebt, dass Leute anrufen. Er sollte die Kollegen nicht ablenken, die jetzt da draußen im Einsatz sind. Aber er kann nicht anders. Er muss es wissen. Er ruft wieder in der Zentrale an, jeden, der noch arbeitet, um an Informationen zu gelangen.
Er hört, wie der Fernseher verstummt. Die leere Flasche scheppert im Abfalleimer. Die Spülmaschine wird geöffnet und geschlossen. Dann hört er ihre Schritte auf der Treppe. Sie sagt nicht gute Nacht. Sie weiß, dass ihre gemeinsamen Pläne fürs Wochenende jetzt ohne ihn stattfinden werden, noch mehr Wutanfälle, mit denen sie alleine fertig werden muss. Er ist ohnehin nicht mehr aufnahmefähig, wird nicht zuhören, wie anstrengend ihr Tag gewesen ist. Also lässt sie ihn allein da sitzen und seinem Polizeifunk
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