The Innovator's Dilemma
dessen größter Erfolg – der erste mobile, leicht montierbare und preisgünstige Turmdrehkran. Nicht aus der Tradition eines Seilbaggerherstellers kommend, konnte sich der Branchenneuling Liebherr unbelastet an den Hydraulikbagger wagen. Der L 300 mit einem 25 PS Dieselmotor wurde 1954 gebaut, lange bevor der Boom der Hydraulikbagger einsetzte. Das Unternehmen konzentrierte sich erfolgreich auf die Weiterentwicklung und Ausdehnung des Produktprogramms von Hydraulikbaggern. Heute zählt das Familienunternehmen – mit der Dachgesellschaft der Firmengruppe Liebherr-International AG in Bulle/Schweiz mit über 30 000 Mitarbeitern – zu den größten Baumaschinenherstellern der Welt.
Auch Sennebogen, 1954 in Straubing gegründet, war noch kein lange etablierter Baumaschinenhersteller, als das Unternehmen im Jahre 1956 den ersten Mobilbagger herstellte. Zwar stellte das Unternehmen Seilbagger her, bevor man sich – im Vergleich relativ spät – im Jahre 1962 an die Hydraulikbagger heranwagte. Dennoch bestätigt sich hier die Theorie der disruptiven Innovation. Der erste Mobilbagger, der S 800, hatte eine 14 bis 20 PS Motorleistung und eine mit 0,2 m 3 relativ kleine Schaufel. Das Produkt war auf kleine Baustellen zugeschnitten. Damit hatte das Unternehmen genau in jenem Segment Erfahrung gesammelt, in dem der Hydraulikbagger bald Einzug hielt. 1969 entwickelte Sennebogen den ersten vollhydraulischen Seilbagger der Welt. Sennebogen gilt auch heute noch als eines der innovativsten Unternehmen der Branche. Als ein weltweit agierender Hersteller produziert Sennebogen Bagger unterschiedlichster Bauarten . (von 10 t bis 200 t) und zahlreiche Spezialkrane.
Auch in der Geschichte der deutschen Baggerhersteller und im disruptiven Technologiewechsel vom Seilbagger zum Hydraulikbagger können wir die Prinzipien der disruptiven Innovation gut erkennen:
1.
Kaum einem etablierten, großen Hersteller von Seilbaggern gelang der erfolgreiche Umstieg auf die neue Technologie der Hydraulikbagger.
2.
Die Hydraulikbagger wurden in den etablierten Märkten dieser Seilbaggerhersteller skeptisch und mit Argwohn betrachtet.
3.
Die etablierten Seilbaggerhersteller ignorierten oder belächelten die neue Technologie, in der Annahme, dass ihre Qualität für den Einsatz bei den Kunden nicht reichte.
4.
Viel zu spät – als sich der Hydraulikbagger bereits am Markt durchgesetzt hatte – versuchten einige Seilbaggerhersteller den Einstieg, dann allerdings vergeblich.
5.
Von großem Erfolg mit Hydraulikbaggern gekrönt waren Neueinsteiger. Sie konnten unbelastet die neue Technologie testen, entwickeln, einführen, und begannen sich Schritt für Schritt in obere Marktsegmente vorzutasten, indem sie immer größere Hydraulikbagger entwickelten.
Folgen und Implikationen des Einbruchs der Hydrauliktechnologie
Was lief bei den Herstellern von Seilbaggern schief? Aus heutiger Sicht hätten sie natürlich in die Hydrauliktechnologie investieren müssen. Sie hätten sich mit dieser dann auf jenen Markt und auf jenes Wertesystem, in dem die Hydrauliktechnologie ihre Vorzüge ausspielen hätte können, konzentrieren sollen. Aber das eigentliche Dilemma dieser Unternehmen bestand darin, dass sie in Wahrheit nichts falsch gemacht hatten – zumindest dann, wenn deren Entscheidungen anhand der allgemein gültigen Lehrsätze bewertet wurden. Die Hydraulik war eine Technologie, die die bestehenden Kunden offensichtlich . (noch) nicht brauchen konnten. Sie erkannten nicht den Mehrwert. Jedes einzelne Unternehmen tat dann in weiterer Folge das, was es tun musste. Es versuchte, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Sobald es nämlich bei Entwicklungsfragen zur nächsten Baggergeneration die Kundenbedürfnisse aus den Augen verlor, riskierte es sein Überleben. Zudem versprach die Entwicklung größerer, besserer und schnellerer Seilbagger mehr Marktanteil, Wachstum und Erfolg als das Abenteuer mit einer neuen Technologie – vor allem in Anbetracht des winzigen Marktes, der dafür in den 1950er Jahren existierte. Genauso wie die Hersteller von Computerlaufwerken scheiterten diese Unternehmen nicht, weil sie keinen Zugang zur Technologie hatten. Sie scheiterten auch nicht daran, dass sie die Technologie nicht beherrschten oder nicht gewusst hätten, wie sie einzusetzen gewesen wäre. In der Tat verwendeten die meisten Seilbaggerproduzenten Hydrauliktechnologie, sobald diese für die Einsatzbereiche ihrer Kunden nutzbringend war.
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