The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Blech, Fahrradreifen darunter, ein Ersatzrad hintendran. Der Karren wird nicht so groß wie der von Lehrer Xie, denn ich will nicht darin schlafen, sondern nur meine Vorräte transportieren. Die Schweißarbeiten werden ein paar Tage dauern.
Ich vertreibe mir die Zeit mit Verwaltungsangelegenheiten.
Seit einiger Zeit ist es verboten, Datenträger mit der Post zu versenden, denn die Regierung will vor den Olympischen Spielen den Handel mit Raubkopien eindämmen. Ich habe einen Stapel DVDs mit meinen Fotos darauf, und ich will sie nach Hause schicken, doch das ist nicht so einfach.
Auf der Post heißt es, ich bräuchte eine Genehmigung von der Kulturbehörde. Dort wiederum wird mir mitgeteilt, ich müsse zu den Kollegen der Behörde für Auswärtige Angelegenheiten. Die sind nicht da. Ich werde in ein anderes Gebäude geschickt, ein modernes Verwaltungsgebäude, in dem die Leute Nummern ziehen müssen, bevor sie ihre Wünsche vorbringen können. Doch auch dort ist niemand zuständig. Ich lande bei der Polizei, hier stellt man jedoch nur mit einer gewissen Verärgerung fest,dass in meinem Hotel offensichtlich vergessen wurde, meine Anwesenheit zu registrieren. Als ich auf meinem Anliegen beharre, schicken sie mich zur Sicherheitsbehörde.
An diesem Punkt gehe ich eigentlich nur noch aus Neugier weiter.
Natürlich ist auch der Geheimdienst enttäuschend: Seine Büros liegen tief in einem staubigen Innenhof, und der Pförtner sieht aus, als ob er sich bereits auf den Feierabend eingestellt hat. Keine Spur von smarten Agenten. Ich werde in ein Büro gewunken, und ein freundlicher Herr erklärt mir, dass auch die Sicherheitsbehörde nicht für mein Anliegen zuständig sei.
Es endet damit, dass ich einen erbärmlichen Versuch unternehme, meine DVDs im doppelten Boden eines Pakets zu verstecken. Ich werde entlarvt, die Postbeamten schreien mich an, ich schreie sie an, und schließlich komme ich auf die einfache Idee, ihnen den Inhalt der DVDs auf meinem Notebook vorzuführen. Das hilft.
Als mein Paket aufgegeben ist und ich mich wieder beruhigt habe, spüre ich eine Berührung an meinem Arm. Ich drehe mich um und erblicke ein Meer von Locken.
Sie lächelt. »Erkennst du mich nicht?«
»Wo ist dein Freund?«
»Das war nicht mein Freund. Mein Freund ist verschwunden.«
Bevor ich fragen kann, was sie damit meint, redet sie weiter. Ich soll Lilly zu ihr sagen. Sie ist achtzehn Jahre alt und bereitet sich gerade auf die Universitätsprüfungen vor, dann will sie in den Süden, vielleicht nach Guangzhou. Sie ist halbe Hui-Chinesin, daher wahrscheinlich auch die Lockenpracht. Mein Bart lässt mich »gutherzig« aussehen, sagt sie und lacht.
Ob wir etwas zusammen unternehmen wollen, fragt sie mich, und benutzt dabei das Wort wan für spielen.
Der Bus fährt frühmorgens los. Wir brauchen zwei Stunden bis zu den Berghöhlen des Matisi, des »Pferdehuftempels«. Auf Lillys T-Shirt ist eine Aufschrift, sie fällt mir erst auf, als wir aussteigen: TELL ME WHAT LOVE IS.
Sie zeigt auf den Eingang zum Tempel. Er liegt in einem grünen Tal, das mich an die weißen Yaks von Tianzhu erinnert. Der Tempel selbst besteht aus einem Höhlennetz in einer Steilwand, angefüllt mit buddhistischen Statuen und Malereien. Manche von ihnen sind mehr als eineinhalb Jahrtausende alt. In einer Höhle befindet sich ein Stein mit einem Abdruck, der an einen Pferdehuf erinnert. Daher hat der Tempel seinen Namen.
»Wo ist dein Freund hin?«, frage ich.
Sie lehnt sich an eine Nische und blickt hinaus. »Ich weiß es nicht. Er ist Künstler, und manchmal streift er eine Zeit lang irgendwo in der Gegend herum. So wie du. Diesmal ist er schon länger fort.« Sie lächelt. »Vermisst du deine Freundin?«
Wir stehen vor einer steilen Stufe, sie greift nach meiner Hand. Ihre fühlt sich leicht und kühl an.
Die oberste Höhle liegt hoch über dem Tal. Es ist ein nach Weihrauch riechender, enger Raum, der von der Statue eines Bodhisattwas beherrscht wird. An der Außenwand ist eine Art Holzbalkon. Ein einzelner Stuhl steht darin, ich lasse mich auf ihn fallen und blicke durch das Gitter nach draußen, über das grüne, tibetisch anmutende Land. Hier leben die Yugur, eine der kleinsten Minderheiten des Landes. Sie sind mit den muslimischen Uighuren des Nordwestens verwandt, aber sie sind Lamaisten, wie die Tibeter. Es gibt nur etwa zehntausend von ihnen, so wenige, dass sie in Beijing wahrscheinlich nur einen einzigen Wohnblock einnehmen würden.
Lilly
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