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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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verbracht habe. Sie gehören zu denen, die von Athen aus losgefahren sind. Wir sitzen unter dem Sonnendach eines Kiosks, und ich erzähle ihnen, wie ich gestern Abend doch noch zu meinem Tanz gekommen bin.
    Stundenlang habe ich gewartet, bis endlich ein einzelner älterer Herr auf einem Fahrrad auftauchte. Er hatte einen Schnauzbart und kam aus Polen, sein Name war Andrzej. Es dauerte eine Weile, bis ich ihm auf Englisch und Französisch, vor allem aber mit Gesten klarmachen konnte, dass ich seine Kamera ausleihen wollte, um damit ein Video von mir beim Tanzen zu machen. Am besten sollte er einfach mittanzen.
    Ich vollführte ein paar wackelnde Bewegungen. »Dance!«, rief ich und fragte ihn, ob er nicht mitmachen wolle. Er winkte ab,doch sein Schnauzbart kräuselte sich amüsiert. »Juste comme ça!«, sagte ich und machte eine Wellenbewegung mit den Armen.
    Und plötzlich hüpfte er neben mir herum.
    Wir waren allein auf der Straße. Er war mit dem Fahrrad aus dem Westen gekommen und ich zu Fuß aus dem Osten, und an diesem Punkt hatten wir uns getroffen. Der Wind sang leise durch die Wüste, und es gab keine Musik, aber wir tanzten trotzdem. Mit schwingenden Armen und Beinen sprangen wir auf der Straße herum, ein Pole und ein Deutscher in China, und feierten den Moment.
    »Das kann nicht wahr sein!«, sagt Carlotta. »Andrzej ist ein total kauziger Typ, ein richtiger Eigenbrötler, der fährt fast immer nur für sich allein, und von uns anderen haben die meisten noch nicht einmal richtig mit ihm gesprochen. Und du hast mit ihm getanzt?«

BIENENSTURM
    Zuerst ist es nur eine dunkle Wolke, die sich in einiger Entfernung auftürmt und langsam über den Wüstenboden walzt. Bleiche Finger fahren aus ihr heraus und wühlen im Geröll, der Himmel ist tiefgrau, es ist windig.
    Ich gehe langsam weiter und behalte die Wolke im Auge. Sie wälzt sich über die Wüste und über die Fahrbahn, und je länger ich sie betrachte, desto mehr kommt sie mir vor wie ein riesiges Lebewesen. Dann ändert sie ihre Richtung.
    Sie schwillt an und kommt auf mich zu. Ich höre mich einen hohen Schrei ausstoßen. Hastig ziehe ich alle Reißverschlüsse fest und stopfe alle losen Teile in die Kabutze, dann umklammere ich sie und warte auf das dunkle Wesen, das auf mich zurollt undden ganzen Horizont einnimmt. Je näher der Sturm kommt, desto lauter wird er.
    Ein Auto fährt in Schrittgeschwindigkeit an mir vorbei, ich sehe seine Warnblinker im Grau verschwinden. Dann packt mich der Sturm, zu meiner Überraschung ist es ein Sandsturm fast ohne Sand.
    Kleine Steine landen laut prasselnd auf der Kabutze, ich spüre sie an meinen Armen und Beinen, ich halte die eine Hand vor die Augen, mit der anderen umklammere ich die Kabutze, damit sie nicht umgeworfen wird. Der Sturm rüttelt und zerrt an mir, er schreit mir ins Ohr, wie wütend er ist, dass es hier draußen in der Geröllwüste so wenig Sand gibt, er hätte sonst ein Kara Buran werden können, ein schwarzer Sturm, der Schrecken der Karawanen.
    Dann ist er weg. Ich sehe die dunkle Wolke weiterziehen, sie ist blasser geworden und erscheint mir ein bisschen weniger Furcht einflößend. Ich wische mir den Staub vom Körper, untersuche meine Kameras, trinke einen Schluck Wasser und rätsele über die roten Punkte an meinen Waden, bis mir aufgeht, dass sie von den kleinen Steinen sind, die der Wind herumgeschleudert hat.
    Im nächsten Dorf werde ich ausgelacht.
    »Sandsturm?«, fragen die Leute. »Das war doch kein Sandsturm!«
    Sie hocken am Straßenrand zwischen Bergen von Melonen und warten auf Kundschaft. Meine Sandsturmphantasien finden sie höchst amüsant.
    »Die Saison der großen Stürme ist doch schon längst vorbei«, klärt mich ein schrumpeliger Alter auf. »Das eben war bestenfalls ein Lüftchen.«
    Die anderen lachen, eine Frau tröstet mich mit einem Stück Wassermelone.
    »Du hast dich bestimmt erschreckt, bei euch gibt es keine Sandstürme, oder?«
    »Wir haben in Deutschland nicht einmal Wüsten«, sage ich.
    »Deutschland? Da haben wir Verwandte!«
    »Wo?«
    Die anderen gucken interessiert zu uns herüber.
    »Das habe ich vergessen«, sagt sie. »Die sind schon sehr lange dort.«
    Ein Stück weiter ist die Luft voller Bienen.
    Ich höre ein Summen hinter meinem Ohr, sehe schwirrende Punkte, die mich umkreisen, sie sind überall, und sie hören sich gereizt an.
    Ich muss an die Worte des Kutschenfahrers Peng vor ein paar Wochen denken: Ich sollte mich vor den Bienen hüten, sie

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