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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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wiederaufgebaut, nachdem der alte zerstört worden war.
    Zwei alte Männer lassen es sich nicht nehmen, mir ein Verlängerungskabel mit einer Glühbirne in den Tempelhof zu legen. »Willst du wirklich draußen schlafen?«, fragen sie, und ich denke mir nichts dabei und sage: Ja, das will ich.
    Der Tempeleingang zeigt nach Süden. Die Luft riecht schwer nach dem fruchtbaren, üppigen Land, in der Ferne sehe ich die schneebedeckten Gipfel des Qilian-Gebirges, das mich schon so lange begleitet. Eine Schäferin mit einem Kopftuch tränkt ihre Herde am Teich, dann führt sie sie fort. Jetzt bin ich mit meinem Tempel allein. Stille legt sich über das Land, die Geräusche des Dorfes werden leiser. Hier und da geht eine Tür quietschend auf und zu, jemand ruft, ein Hund bellt. Meine Isomatte liegt auf dem Steinboden unter der Glühbirne, die Nacht bricht herein.
    Am nächsten Morgen bin ich zerstochen und zittere vor Kälte. Ich befreie mich aus der klammen Umarmung meines Schlafsacks, springe auf und hüpfe etwas hilflos im Hof herum. Sobald die ersten Sonnenstrahlen über die Mauer fallen, stelle ich mich in sie hinein und schließe die Augen. Ihre Wärme dringt in meinen Körper, und das Gefühl erinnert mich an die Wärmflaschen, die ich in Beijing mit ins Bett nahm, wenn der Winter die Stadt schon erreicht hatte, bevor die zentrale Fernheizung angeschaltet wurde.
    Mein Gesicht pocht – Andenken an jene Bewohner des Teiches, die sich abends in summenden Schwärmen erheben, um Jagd zu machen auf Blut. Und bei mir haben sie es gefunden.
    Zhu Hui lacht, als ich ihm am Telefon davon erzähle. »Ich habe dir gesagt, dass es vielleicht ein bisschen verfrüht war, die Wintersachen zu mir zu schicken. Und dann gehst du hin und legst dich in deinem Sommerschlafsack an den Fuß der Berge, und noch dazu neben einen Teich? Oh, kleiner Lei!« Und ich höre sein tiefes Lachen, mit dem er es damals geschafft hat, die fast vierzig Kilometer nach Baoding halb so schlimm erscheinen zu lassen, vor vielen Monaten, als meine Haare noch kurz waren.
    Die Eisenbahntrasse gibt die Richtung vor: Links von ihr verläuft der Feldweg, rechts die Landstraße, beide führen nach Westen. Ich entscheide mich für die Stille des Feldwegs, lasse das Dorf hinter mir und sehe beim Laufen den Leuten dabei zu, wie sie vor der Kulisse des Gebirges auf ihren Feldern arbeiten – und mit dem nächsten Schritt stehe ich im Nichts. Die Felder haben aufgehört, der Weg ist versandet, und vor mir erstreckt sich nur noch die buckelige Gobi. Die Trasse der Eisenbahn ist zwei Meter hoch und abgezäunt, ich kann die Fahrzeuge auf der anderen Seite hören, doch es gibt keinen Weg hinüber.
    Eine halbe Stunde lang irre ich durch den Staub, dann finde ich endlich einen Übergang auf die andere Seite: eine Röhre, die unter der Trasse hindurchführt, wahrscheinlich um Regenwasser abzuleiten. Das Problem: Sie ist nur etwas über einen Meter hoch, dafür aber zwanzig Meter lang, und innen ist sie mit Scheißhaufen übersät.
    Ich gehe in die Knie und stütze mich mit meinen Trekkingstöcken ab, dann mache ich den ersten Entenschritt in die Röhre hinein. Das Gewicht meines Rucksacks drückt mich zu Boden, vor mir liegen zwei mumifizierte Köttel. Ich denke an Juli und daran, wie sie sich totlachen würde, wenn sie mich jetzt sehen könnte.
    Als ich endlich wieder im Freien stehe und mich vorsichtig aufrichte, zittern meine Beine, und mein Rücken ist schweißnass. Ich stolpere am Straßenrand weiter, fühle ein Pochen in meinem Gesicht, und als ich in der Ferne einen Parkplatz mit ein paar Häusern sehe, steuere ich darauf zu. RESTAURANT, steht auf einem Schild. Ich trete ein, lasse mich auf einen Stuhl fallen, der Wirt kommt herbeigelaufen und fragt auf Englisch: »How are you?«
    Er habe oft ausländische Gäste hier, sagt er grinsend, und dann erzählt er mir von der Frau mit dem Esel. Ja, sie war hier, nein, sie kann nicht sehr alt gewesen sein, dafür war ihr Gang zu jugendlich. Sie wird bis nach Ostchina gehen und dort ihren Esel verkaufen.
    Das Restaurant ist fast leer. Ein paar Männer sitzen um einen Tisch und spielen Karten. Vor dem Tresen stehen große Pflanzenkübel, Eierschalen liegen als Dünger darin. Die Speisekarte hängt als Poster an der Wand. Alle Preise sind überklebt, das Leben in China wird teurer, auch hier in der Wüste.
    Ich bestelle sautierte Nudeln für zwölf Yuan, dann blicke ich auf die Uhr: Es ist kurz nach drei. Draußen brät die Gobi in

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