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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Rehage
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»Fans auf der ganzen Welt?« Er grinst ironisch.
    »Klar, die Leser meines Blogs finden dich super.«
    »Ach«, sagt er, »es ist doch nichts Tolles an mir.«
    Aber er lächelt vergnügt in sich hinein.
    Wir sitzen auf der Bank, die Türen der Geschäfte stehen offen, aus einigen kommt Musik. Männer und Frauen tragen Einkaufstüten vorbei, eine junge Familie betritt ein Fast-Food-Restaurant. Die Nachmittagssonne ist warm, ein Baum über uns spendet Schatten. Lehrer Xie bläst etwas Rauch nach oben. Es ist eine bläuliche Wolke, die langsam blass wird und sich in der Sommerluft verliert.
    Als ich am nächsten Tag aufstehe, ist er schon vorausgelaufen. Ich nehme die Ausfallstraße nach Westen, sie führt an der alten Festung von Jiayuguan vorbei und an der Großen Mauer. Ich habe all dies schon einmal gesehen, in dem Sommer, als ich mit dem Zug aus Xi’an und Pingliang angespült wurde. Doch damals verstand ich nichts.
    Dass das Geröll um mich herum die Gobi war, wurde mir erst klar, als die Taxifahrerin es mir mitteilte.
    » Die Gobi?«, fragte ich, und sie lachte. »Gibt es denn noch eine andere?«
    Erst später, als ich eine Karte der Gegend vor Augen hatte, verstand ich die Bedeutung der Festung Jiayuguan und warum sie vor über sechs Jahrhunderten ausgerechnet an diesem Ort gebaut wurde: Sie liegt in einer einmaligen Engstelle des Hexi-Korridors. Im Süden von ihr erhebt sich das schneebedeckte Qilian-Gebirge, im Norden liegt eine gewaltige Wüste. Die Festung steht genau dazwischen, in einer natürlichen Enge, die von einem Fluss und einem Berg gebildet wird. Der Name der Festung und der Stadt bedeutet »Pass des schönen Tals«, und viele Jahrhunderte lang war hier, am Pass des schönen Tals, das Ende der chinesischen Welt.
    Ich schleiche mich an der Festung vorbei. Sie ist ein mächtiger ockerfarbener Klotz, an ihrem Fuß liegt die Große Mauer, sie riegelt das Tal in seiner ganzen Breite ab. Früher, als das Bollwerk noch lückenlos war, musste jeder, der an dieser Stelle ins chinesische Reich hinein- oder aus ihm hinauswollte, durch die Tore der Festung Jiayuguan hindurch.
    Heute ist die Mauer an vielen Stellen durchbrochen, und die Festung ist für den Fremdenverkehr geöffnet. Ich folge der Straße bis zu einer Stelle, an der sie den Verlauf der Mauer kreuzt. Es sieht brutal aus, als habe sich der Verkehr einfach durch den alten Lehm hindurchgefräst. Ich bleibe stehen.
    Als ich vor fast zwei Jahren zum ersten Mal hier war, lief ich vom Endpunkt der Mauer bis zur Festung mehrere Stundenlang. Es war ein grauer Tag, trüber noch als heute, und das Land auf der anderen Seite kam mir auf eine unbestimmte Art bedrohlich vor: Dort war nichts als Geröll zu sehen, das dumpf in der Hitze brütete und sich bis zum Horizont erstreckte, und das einzig Lebendige schienen die Wolken zu sein, die darüber hinwegzogen.
    Das Gefühl ist jetzt wieder da. Ich weiß, dass hier erst die richtigen Wüsten beginnen, dass alles Bisherige nichts Besonderes war im Vergleich zu dem, was noch vor mir liegt.
    Ich denke nicht an Turkmenistan, an Iran oder an die Wege durch Osteuropa, die noch vor mir liegen. Ich bin jetzt an dem Punkt, der früher das Ende von China markierte, hier ist es schroff und grau. Die Wolken ziehen in dicken Wülsten über die Ebene hinweg, sie waren schon immer hier, vor allen Mauern und Menschen.
    Mein Handy vibriert, es ist Lehrer Xie. »Wo treibst du dich herum, kleiner Schurke? Ich bin schon fast auf der anderen Seite der Gobi!«
    Er lacht, und ich stelle ihn mir vor, wie er seinen Karren durch die Weiten der Wüste zieht. Und gleich sieht das alles nicht mehr so schrecklich aus.

WIE MAN RATTEN FÄNGT
    Wir haben unser Lager in der Dunkelheit der Wüste aufgeschlagen, nicht zu nah an der Straße, aber auch nicht zu weit weg. Unsere Karren bilden die Wagenburg, mein Zelt steht dazwischen. Lehrer Xie hat Zeitungspapier auf dem Boden ausgebreitet und unser Essen darauf arrangiert: Reis, Würste, Bohnen in Tomatensauce. Meine Taschenlampe wirft einen zarten Schein, die Wüste um uns herum schweigt.
    Er erzählt mir, wie er vor Jahren einmal in Tibet ein verletztes Tier am Straßenrand fand.
    »Es war ein schönes Tier, aber es lebte leider kaum noch. Überfahren oder so. Es lag einfach blutend da.«
    »Was hast du gemacht, Lehrer Xie?«
    »Ich musste es erlösen«, sagt er und macht eine stechende Bewegung mit der Hand, »dann habe ich es begraben. Obendrauf habe ich einen Stein gelegt, auf dem stand:

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