The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Opfer gefallen waren.
Er lachte mich an: »Du wanderst zu Fuß durch unser schönes China?« Und noch bevor ich etwas darauf antworten konnte, hatte ich schon eine Visitenkarte in der Hand: YANG, stand darauf und: GESCHÄFTSMANN.
»Warte«, sagte er und griff hinter sich auf die Rückbank. Wenige Augenblicke später blickte ich seinem davonrasenden Wagen hinterher und hatte eine große Tüte Äpfel und Orangen in der Hand, die er gegen das Versprechen eingetauscht hatte, mich bei ihm zu melden, sobald ich seine Heimatstadt Yangquan erreichen würde.
Um sieben holt mich Herr Yang von meinem Hotel ab. Er hat noch einen anderen Mann dabei, den er mir als seinen großen Bruder vorstellt.
»Großer Bruder wie guter Freund?«, frage ich verwirrt.
Herr Yang zeigt auf sein Gesicht: »Findest du denn gar nicht, dass wir einander ähnlich sehen?«, will er wissen.
»Moment mal, für einen Ausländer sehen wir doch wahrscheinlich alle irgendwie gleich aus«, sagt sein Bruder lachend. »Wir können die ja schließlich auch nicht voneinander unterscheiden!«
Sie erklären, dass ich sie Alter Yang und Kleiner Yang nennen dürfe, und als ich sage, dann wolle ich aber auch der Kleine Lei sein, kommen sie aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. Wir essen im »Alten Beijing«, das sie als Pächter betreiben. Es gehört zu einer Kette von Feuertopfrestaurants der gehobenen Klasse.
Der Alte Yang bringt den ersten Toast aus. »Kleiner Lei«, sagt er feierlich. »Wir beide wünschen dir viel Glück und Erfolg bei deinem Vorhaben!« Wir stoßen an, während der Dampf zwischen uns aus dem Topf aufsteigt, und dann nehmen wir jeder einen großen Schluck. Ich muss mich zusammenreißen, um mein Gesicht nicht zu verziehen, so unerwartet und merkwürdig ist der Geschmack.
Der Kleine Yang fängt an zu lachen. »Das ist Cola!«, sagt er und zeigt auf sein Glas. »Hier bei uns trinkt man sie heiß! Hast du das noch nie probiert?«
Ich schüttele den Kopf, der Alte Yang fischt ein Stück Fleisch aus dem Feuertopf und legt es mir lächelnd auf den Teller. Es wird entgegen meinen Erwartungen ein überaus angenehmer und interessanter Abend. Wir essen Unmengen von Köstlichkeiten, trinken heiße Cola und bringen Trinksprüche aus. Vor allem aber wollen die beiden alles über meinen Plan wissen.
»Kleiner Lei«, sagt der Kleine Yang. »Hier bei uns brauchst du dir keine Sorgen zu machen, das weißt du ja. Wir helfen dir, egal, was passiert. Aber was machst du, wenn du später in die Wüstengebiete von Gansu und Xinjiang kommst? Ist dir eigentlich klar, wie es dort aussieht?«
Sein Bruder zieht warnend eine Augenbraue hoch. »Da fährt man stunden- und tagelang mit dem Auto immer geradeaus, und dabei sieht man die ganze Zeit keinen einzigen Menschen!«
Ich stochere verlegen in meinem Essen herum und muss einen recht niedergeschlagenen Eindruck machen, denn der Kleine Yang fährt in beschwichtigendem Tonfall fort. »Was ich sagen will, ist: Du darfst niemals vergessen, dass die eigene Sicherheit immer am wichtigsten ist! Wenn du irgendwann in der Wüste merken solltest, dass es zu schwierig wird, dann kannst du einfach eine Etappe mit dem Auto oder mit dem Zug fahren, das ist doch überhaupt nicht schlimm!«
Aber was ist dann mit den Regeln? , denke ich. Den ganzen Weg zu Fuß gehen, jeden Tag bloggen, den Bart und die Haare wachsen lassen, keine Ausnahmen.
Natürlich hat er meinen Gedanken erraten. »Dein Vorhaben bleibt doch davon unberührt, auch wenn du zwischendurch mal ein kleines Stück mit dem Auto fährst. Die Strecke von Beijingnach Deutschland ist doch lang genug, da muss man nicht jeden einzelnen Schritt zu Fuß laufen!«
»Finde ich auch«, pflichtet ihm sein großer Bruder bei, »es ist die Idee, die zählt.«
»Man darf nicht zu stur sein und auf seinen Prinzipien herumreiten!«
Ich schüttele lächelnd den Kopf.
Und fühle mich ertappt.
Am nächsten Morgen haben die Brüder Yang noch etwas Besonderes mit mir vor – einen Besuch im Bergdorf Dazhai.
Dazhai? Ich habe keine Ahnung, was das sein soll, doch die beiden blicken mich an, als hätten sie Eintrittskarten für Disneyworld organisiert: Dazhai! Das sei doch im ganzen Land bekannt! Ob ich denn wirklich noch nie von Chen Yonggui und dem Ausdruck »Lernen von Dazhai« gehört habe?
Als ich abends am Telefon Juli danach frage, überlegt sie einen Moment. »Keine Ahnung, ich glaube, das ist irgend so eine kommunistische Sache«, sagt sie, »so etwas wissen wahrscheinlich
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