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The Road of the Dead

The Road of the Dead

Titel: The Road of the Dead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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Baby-John hat eine Stunde lang eingesteckt, ihm die Kraft ausgesaugt, dann hat er ein Auge aufgemacht und ihn ausgeschaltet.« Der alte Mann grinst und holt zwei kleine Zigarren aus seiner Manteltasche. Er zündet beide mit einem Streichholz an und reicht eine Cole, dann nickt er zu der Nachricht auf dem Tisch. »Was willst du tun?«, fragt er.
    Cole zieht an der Zigarre. »Was würdest du tun?«
    Reason zuckt die Schultern. »Ist nicht mein Bruder.«
    »Und was würdest du tun, wenn’s deiner wär?«
    »Wahrscheinlich dasselbe wie du.« Er sieht hinab zu Jess, kratzt sich nachdenklich an seinem graubärtigen Kinn, dann wendet er sich wieder Cole zu. »Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid.«
    Cole nickt. Jetzt gefällt ihm der alte Mann. Ihm gefällt seine Einfachheit. Ihm gefallen die billigen Zigarren. Und ihm gefällt seine Nichte – wenn sie denn seine Nichte ist. Cole bezweifelt es irgendwie. Nicht dass es wichtig ist. Es ist ihm egal, wer oder was sie ist – sie gefällt ihm ganz einfach. Ich spüre die Anziehung in seinen Adern prickeln wie elektrisch geladenes Blut.
    Ich spüre auch seine Unsicherheit. Er ist nicht gewohnt, dass ihm etwas gefällt, und er ist sich nicht im Klaren, was er damit anfangen soll.
    »Ich muss an die Luft«, sagt er zu Jess. »Können wir ein bisschen spazieren gehen oder so?«
     
    Das lange blasse Gras ist noch feucht von Tau. Ich spüre die |267| schwere Feuchtigkeit unter Coles Füßen, als er mit Jess um die Wiese am Rand des Camps geht. Sie gehen langsam, sagen eine Weile nichts – gehen nur einfach zusammen, allein mit ihren Gedanken. Und lassen mich mit meinen allein.
     
    Schweben   …
    Gleiten   …
    Empfinden   …
     
    In der Mitte der Wiese trinkt ein kleines graues Pferd aus einer Tränke. Dunkle Augen, starker Schädel, zottiger Schwanz, der nach einem Fliegenschwarm schlägt. Und ich frage mich einen Moment lang, ob es das Pferd aus der ersten Erinnerung meines Dads ist. Ich weiß natürlich, dass es das nicht ist – geht ja gar nicht   –, aber irgendwas ist da   … irgendwas   … ich weiß nicht, was. Ich spüre irgendwo Dads Gegenwart, aber ich weiß nicht, woher sie rührt. Es könnte etwas mit seiner Erinnerung zu tun haben, vermischt mit den Empfindungen, die ich von Cole kriege, oder es könnte etwas mit Cole zu tun haben, dessen Empfindungen mit Dads Erinnerungen vermischt sind. Oder vielleicht ist es ja auch etwas ganz anderes   …
    Ich weiß es einfach nicht.
    Was immer es ist, es bringt mich zu Dad.
    Ich spüre seine Erinnerungen und seine lang ertragene Trauer und ich sehe sein Gesicht – müde und hart – und die gequälten Augen, wie sie mit kaltem Blick auf die weiß getünchten Zellenwände starren, und für den Bruchteil einer Sekunde höre ich seine Stimme –
lass es kommen, Rube, lass es ganz einfach kommen
– und dann ist er wieder weg.
    |268| Genauso wie das kleine graue Pferd.
    Die Wiese ist leer. Keine Tränke, kein Pferd. Nur Cole und Jess, die noch immer langsam gehen, und Finn, der Lurcher, der mit hängendem Kopf vor ihnen herläuft. Ich frage mich, warum es mir nicht merkwürdig erscheint – das plötzliche Verschwinden eines kleinen grauen Pferdes. Aber ich denke nicht lange drüber nach. Es erscheint mir eben nicht merkwürdig. Und es beschäftigt mich auch kein bisschen.
     
    Finn, der Lurcher, sieht nicht gesund aus. Seine Augen sind glasig. Sein Fell ist stumpf. Seine Bewegungen wirken fahrig, er schlappt nur so vor den beiden her, sucht trauernd die fernen Berge ab und wartet – wie Tiere warten – darauf, dass Tripe nach Hause kommt. Auch Jess denkt an Tripe. Ich spüre die schwarze Wolke, die in ihr aufsteigt. Sie kann nicht mehr tun, als sie zurückdrängen und ihre Aufmerksamkeit wieder Cole zuwenden.
    »Bist du okay?«, fragt sie ihn.
    »Ja«, lügt er.
    Ich spüre, wie er leidet. Seine gebrochenen Knochen schmerzen. Sein Kopf pocht, sein Mund tut weh. Seine Rippen schreien bei jedem Atemzug und jedem Schritt. Er versucht das alles zu ignorieren. Nicht aus irgendeiner gespielten Heldenhaftigkeit, sondern einfach, weil er es tut.
    »Komm her«, sagt Jess und nimmt seinen Arm.
    Sie führt ihn hinüber zu einem Granitfindling, der am Rand der Wiese halb in der Erde begraben liegt, dann hilft sie ihm, sich zu setzen. Er zündet sich eine Zigarette an. Sie setzt sich neben ihn. Er schaut umher. Die frühe Helligkeit des Morgenhimmels ist einer unwirtlichen grauen Trübheit gewichen. Regenwolken treiben |269|

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