The Stand. Das letze Gefecht
er.
»Bist ein lieber Junge«, sagte sie. »Möchtest du noch Kaffee?«
»Kann ich selbst holen.«
»Unsinn. Bleib sitzen, wo du bist. Ich habe meinem Mann auch immer eine zweite Tasse geholt. Er bestand darauf. Und dabei habe ich beim Frühstück immer nur seinen Haaransatz gesehen. Der Rest steckte hinter dem Wall Street Journal oder einem gräßlich schweren Stück Literatur. Nicht nur etwas Bedeutungsvolles oder etwas mit Tiefgang, sondern etwas definitiv vor Bedeutung Triefendes. Böll. Camus. Milton , um Himmels willen. Du bist eine willkommene Abwechslung.« Auf dem Weg zur Kochnische sah sie über die Schulter; ihre Miene war schelmisch. »Es wäre jammerschade, dein Gesicht hinter einer Zeitung zu verstecken.«
Er lächelte verhalten. Heute morgen schien ihr Humor gezwungen zu sein, wie gestern nachmittag schon. Er erinnerte sich, wie er sie im Park kennengelernt hatte und ihre Unterhaltung ihm wie achtlos auf den grünen Filz eines Billardtischs gestreute Diamanten erschienen war. Seit gestern nachmittag waren Unterhaltungen wie funkelnde Zirkone, perfekte Imitationen, aber eben nur Imitationen.
»Hier.« Sie stellte die Tasse ab, und weil ihre Hand immer noch zitterte, tropfte ihm heißer Kaffee auf den Unterarm. Er zuckte mit einem katzenhaft zischenden Einatmen vor ihr zurück.
»Oh, tut mir leid...« Ihr Gesicht drückte mehr als Betroffenheit aus; es war fast so etwas wie Entsetzen.
»Schon gut...«
»Nein, ich hole nur... ein kaltes Tuch... sitz nicht... einfach so da... ich Dummkopf.«
Sie brach in Tränen aus und schluchzte abgehackt, als hätte sie gerade den scheußlichen Tod eines guten Freundes mit ansehen müssen und nicht nur ihn leicht mit etwas Kaffee verbrüht. Er stand auf, nahm sie in den Arm und nahm nicht ohne Mißfallen zur Kenntnis, wie fest sie ihn ihrerseits hielt. Es war beinahe ein Umklammern. Kosmische Umklammerung - Cosmic Clutch , das neue Album von Larry Underwood, dachte er unglücklich. O Scheiße. Du bist kein netter Kerl. Schon wieder.
»Tut mir leid, ich weiß nicht, was mit mir los ist, ich bin sonst nie so, es tut mir so leid...«
»Schon gut, das macht doch nichts.« Er fuhr fort, sie mechanisch zu trösten und ihr mit den Händen über das melierte Haar zu streichen, das viel besser aussehen würde (wie überhaupt alles an ihr), wenn sie mal wieder längere Zeit im Bad verbringen würde. Selbstverständlich wußte er, was teilweise dafür verantwortlich war. Etwas Persönliches und etwas Allgemeines. Es hatte auch ihn beeinflußt, aber nicht so plötzlich und tiefgreifend. Bei ihr war es, als wäre in den letzten vierundzwanzig Stunden oder so ein innerer Kristall geborsten.
Allgemein, vermutete er, war es der Geruch. Derzeit kam er durch die Öffnung zwischen Wohnzimmer und Balkon herein - mit der kühlen Morgenbrise, die später stehender, schwüler Hitze weichen würde, wenn sich der Tag so wie die vorhergehenden entwickelte. Der Geruch war schwer so zu definieren, daß es korrekt und trotzdem nicht so schmerzhaft wie die nackte Wahrheit war. Man konnte sagen, er war wie schimmlige Orangen oder verdorbener Fisch oder der Gestank in U-Bahn-Schächten, den man mitbekam, wenn die Fenster offen waren; nichts davon traf den Kern der Sache genau. Den Kern traf voll und ganz, daß es der Geruch Tausender Menschen war, die hinter geschlossenen Türen in der Hitze verwesten, aber vor diesem Eingeständnis scheute man denn doch etwas zurück.
In Manhattan funktionierte der Strom noch, aber Larry glaubte nicht, daß das noch lange so weitergehen würde. In den meisten anderen Stadtteilen war er schon ausgegangen. Gestern abend hatte er, als Rita schon eingeschlafen war, auf dem Balkon gestanden, und von da oben konnte man sehen, daß die Lichter in halb Brooklyn und ganz Queens ausgegangen waren. Jenseits der North bis zum Ende von Manhattan Island war eine dunkle Fläche. In der anderen Richtung konnte er noch helle Lichter in Union City und - möglicherweise - Bayonne sehen, aber ansonsten war New Jersey schwarz.
Die Schwärze freilich bedeutete mehr als nur den Ausfall des Lichts. Unter anderem bedeutete sie den Ausfall der Klimaanlagen, diesem modernen Komfort, der es möglich machte, nach Mitte Juni in dieser besonders eklatanten Stadt zu leben. Sie bedeutete, daß alle Menschen, die friedlich in ihren Wohnungen gestorben waren, jetzt in Backöfen verwesten, und jedesmal, wenn er daran dachte, mußte er wieder an das Ding denken, das er in der öffentlichen
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