The Stand. Das letze Gefecht
Gehen wir, Larry.«
Es war ein Spaziergang, den Larry Underwood nie vergaß. Er dachte, daß sie nicht so unrecht gehabt hatte, Tolkien zu zitieren, Tolkien mit seinen mythischen Ländern, die durch die Linse der Zeit und halb verrückter, halb erhabener Ideen gesehen wurden und von Eiben und Ents und Trollen und Orks bevölkert waren. Das alles gab es in New York natürlich nicht, aber es hatte sich so viel verändert, so vieles war aus den Fugen geraten, daß es unmöglich war, nicht an Fantasy zu denken. An einem Laternenpfahl der Fifth und East 45th, unterhalb des Parks in einer freundlichen Wohngegend, hing ein Mann, der ein Schild mit dem Wort PLÜNDERER um den Hals hatte. Eine Katze lag auf einem sechseckigen Abfalleimer (auf dessen Seiten immer noch Plakate einer Broadway-Show klebten, die wie neu aussahen), säugte ihre Jungen und genoß die Morgensonne. Ein junger Mann mit breitem Grinsen und einem Aktenkoffer unter dem Arm kam zu Larry und sagte ihm, er würde ihm eine Million geben, wenn er die Frau fünfzehn Minuten benützen dürfe. Die Million befand sich wahrscheinlich in dem Aktenkoffer. Larry nahm die Flinte zur Hand und sagte ihm, er solle sich seine Million woanders hin stecken. »Klar, Mann. Nimm's mir nicht übel, klar? Versuchen kann man's ja mal, oder? Schönen Tag noch. Und immer schön locker bleiben.«
Kurz nach der Begegnung mit dem Mann (den Rita voll hysterischer Heiterkeit John Bearsford Tipton nannte, ein Name, der Larry nichts sagte) kamen sie zur Ecke Fifth und East 39th. Es war fast Mittag, und Larry schlug vor, daß sie etwas essen sollten. An der Ecke war ein Imbiß, aber als er die Tür aufstieß, wich sie vor dem Gestank verfaulenden Fleisches zurück, der herausströmte.
»Wenn ich das bißchen Appetit nicht verlieren will, sollte ich besser nicht da hineingehen«, sagte sie als Entschuldigung.
Larry dachte sich, daß er unverdorbene Lebensmittel drinnen finden könnte - Salami, Pepperoniwurst, so etwas -, aber nachdem sie vier Blocks zurück »John Bearsford Tipton« über den Weg gelaufen waren, wollte er sie nicht einmal die kurze Zeit allein lassen, die er brauchen würde, um reinzugehen und nachzusehen. Daher setzten sie sich einen halben Block westlich auf eine Bank und aßen getrocknetes Obst und Dörrfleisch. Als Nachtisch gab es Käse auf Ritz Crackers, dazu reichten sie eine Thermoskanne eisgekühlten Kaffee hin und her.
»Diesmal hatte ich echt Hunger«, sagte sie stolz.
Er lächelte sie an und fühlte sich besser. Einfach unterwegs zu sein, etwas zu unternehmen, war gut. Er hatte ihr gesagt, wenn sie New York hinter sich hätten, würde es ihr bessergehen. Das hatte er nur so hingesagt gehabt. Aber wenn er jetzt überlegte, wie sehr sich seine Laune verbessert hatte, mußte doch was drangewesen sein. New York war wie ein Friedhof, wo die Toten noch nicht ganz ruhig waren. Je früher sie wegkamen, desto besser. Vielleicht würde sie wieder so werden wie an jenem ersten Tag im Park. Sie würden sich auf Nebenstraßen nach Maine durchschlagen und einen Haushalt in einem Sommerhaus der Stinkreichen einrichten. Jetzt nach Norden, und im September oder Oktober nach Süden. Boothbay Harbor im Sommer, Key Biscayne im Winter. Hörte sich gut an. Weil er so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, sah er nicht, wie sie vor Schmerzen das Gesicht verzog, während sie aufstand und die Waffe, die er mitgenommen hatte, über die Schulter hängte.
Sie gingen jetzt nach Westen, und ihre Schatten folgten ihnen - anfangs als platt gequetschte Frösche, später länger, je weiter der Nachmittag fortschritt. Sie überquerten die Avenue of the Americans, Seventh Avenue, Eigth, Ninth, Tenth. Die Straßen waren verstopft und stumm, gefrorene Automobilflüsse in allen Farben, aber beherrscht vom Gelb der Taxis. Viele der Autos waren zu Leichenwagen geworden, die verwesenden Fahrer saßen noch am Lenkrad, die Passagiere waren zusammengesunken, als hätten sie den Stau satt und wären eingedöst. Larry begann zu erwägen, ob sie sich vielleicht Motorräder besorgen sollten, wenn sie aus der Stadt waren. Damit wären sie beweglich und könnten die schlimmsten Staus abgestellter Fahrzeuge, die überall die Highways verstopfen mußten, umgehen.
Immer vorausgesetzt, sie kann ein Motorrad fahren, dachte er. Und wie die Dinge so liefen, würde sich sicher herausstellen, daß sie es nicht konnte. Das Zusammenleben mit Rita wurde zu einer regelrechten Belastung, wenigstens in
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