The Stand. Das letze Gefecht
eine Kleinstadt (»berühmt für ihr Community College und die vier Tankstellen«, erklärte er Stu), die sechs Meilen entfernt lag. Seine Frau war seit zehn Jahren tot. Sie waren kinderlos geblieben. Die meisten seiner Kollegen hatten ihn nicht leiden können, sagte er, ein Gefühl, das ganz auf Gegenseitigkeit beruhte. »Sie haben mich für einen Irren gehalten«, sagte er. »Die Möglichkeit, daß sie recht haben könnten, hat auch nicht zur Entspannung unseres Verhältnisses beigetragen.« Er habe die Supergrippe-Epidemie gelassen hingenommen, sagte er, weil sie ihm wenigstens ermöglicht habe, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und der Malerei zu widmen, was immer sein Wunsch gewesen sei. Während er den Nachtisch aufteilte (einen Kuchen Marke Sara Lee) und Stu seine Hälfte auf einem Pappteller reichte, sagte er: »Ich bin schrecklich als Maler, schrecklich. Aber ich sage mir einfach, diesen Juli ist niemand mehr auf der Welt, der bessere Landschaften malt als Glendon Pequod Bateman, B.A., M.A., M.F.A. Ich weiß, ein billiger Ego-Trip, aber meiner.«
»War Kojak schon immer Ihr Hund?«
»Nein - das wäre ein erstaunlicher Zufall gewesen, oder? Ich glaube, Kojak hat jemand aus einem anderen Stadtviertel gehört. Ich habe ihn ein paarmal gesehen, aber da ich nicht wußte, wie er heißt, habe ich mir die Frechheit genommen und ihn umgetauft. Scheint ihm nichts auszumachen. Entschuldigen Sie mich einen Moment, Stu.«
Er ging über die Straße, und Stu hörte ihn im Wasser plätschern. Wenig später kam er mit bis zu den Knien hochgekrempelten Hosen zurück. Er trug ein tropfendes Sechserpack Narragansett-Bier in jeder Hand.
»Hätte eigentlich zum Essen gehört. Zu dumm.«
»Schmeckt danach genauso gut«, sagte Stu und zog eine Dose von der Plastikverschweißung ab. »Danke.«
Sie zogen die Ringe ab, Bateman hob die Dose. »Auf uns, Stu. Mögen wir glückliche Tage erleben, stets zufrieden sein und keine Schmerzen im verlängerten Rücken haben.«
»Amen.« Sie stießen mit den Dosen an und tranken. Stu fand, dass ihm ein Schluck Bier noch nie so gut geschmeckt hatte.
»Sie machen nicht viele Worte«, sagte Bateman. »Ich hoffe, Sie sind nicht der Meinung, daß ich auf dem Grab der Welt tanze, sozusagen.«
»Nein«, sagte Stu.
»Ich hatte Vorurteile gegenüber der Welt«, sagte Bateman. »Das gebe ich offen zu. Die Welt im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts hatte für mich soviel Charme wie ein achtzigjähriger Mann, der an Prostatakrebs stirbt. Man sagt, das wäre eine Stimmung, die alle Menschen im Westen empfinden, wenn sich ein Jahrhundert - egal, welches - dem Ende nähert. Wir haben uns jedesmal in Trauergewänder gehüllt, sind herumgezogen und haben wehe dir, Jerusalem geschrien... oder Cleveland, je nachdem. Ende des fünfzehnten Jahrhunderts grassierte der Veitstanz. Beulenpest - der schwarze Tod - dezimierte Europa gegen Ende des sechzehnten. Keuchhusten gegen Ende des siebzehnten, die ersten Ausbrüche von Influenza gegen Ende des neunzehnten. Wir haben uns so sehr an die Grippe gewöhnt - uns kommt sie wie eine gewöhnliche Erkältung vor, nicht? -, daß nur noch Historiker wissen, sie hat vor hundert Jahren überhaupt noch nicht existiert .
In den letzten drei Jahrzehnten eines jeden Jahrhunderts erscheinen religiöse Fanatiker auf der Bildfläche und können >stichhaltig< beweisen, daß Armageddon endlich bevorsteht. Solche Leute sind natürlich immer da, aber zum Ende eines Jahrhunderts hin nimmt ihre Zahl zu... und jede Menge Leute nehmen sie ernst. Ungeheuer erscheinen auf der Bildfläche. Attila der Hunne, Dschingis Khan, Jack the Ripper, Lizzie Bordon. Charles Manson und Richard Speck in unserer Zeit, wenn sie so wollen. Seriösere Kollegen als ich haben angedeutet, daß der Mensch in der westlichen Zivilisation gelegentlich eine Läuterung braucht, und diese findet am Ende eines Jahrhunderts statt, damit er rein und voller Optimismus ins nächste gehen kann. In diesem Fall haben wir ein Superklistier bekommen, was, wenn man darüber nachdenkt, völlig logisch ist. Immerhin steht nicht nur das Ende eines Jahrhunderts bevor. Wir nähern uns einem neuen Jahrtausend.«
Bateman verstummte und überlegte.
»Wenn ich darüber nachdenke, ich tanze doch auf dem Grab der Welt. Noch ein Bier?«
Stu nahm eines und dachte darüber nach, was Bateman gesagt hatte.
»Eigentlich ist es nicht das Ende«, sagte er schließlich. »Jedenfalls glaube ich das nicht. Nur eine...
Weitere Kostenlose Bücher