The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
viele neue, reifere IRA-Volunteers. Meine frühere Wichtigkeit, so begrenzt sie auch gewesen sein mag, war dahin. Soweit ich zurückblicken kann, war ich ja immer noch erst sechzehn Jahre alt und sah auch ganz danach aus.
Dass ein IRA-Volunteer nicht mehr aus der IRA austreten kann, ist ein Irrglaube. Jeder Freiwillige kann seine Dienste zurückziehen. Alles, wozu er noch verpflichtet bleibt, ist natürlich, dass er Stillschweigen über interne Geheimnisse bewahrt. Volunteers können die IRA nicht nur aus einer Vielzahl von Motiven – seien es nervöse, religiöse, familiäre oder romantische – freiwillig verlassen, sondern sie können auch hinausgeworfen werden. Die üblichen Gründe hierfür sind Saufereien, mangelnde Disziplin, Unpünktlichkeit, allgemeine Unzuverlässigkeit usw. Im gleichen Maß, in dem sich die Reihen füllten, wurden sie auch wieder gelichtet, indem man die Gemeinen, die Großmäuler und die absolut Gefährlichen hinauswarf. Ich entfernte mich im November und trat einfach nicht mehr an, um mich einsatzbereit zu melden. Es fiel niemandem weiter auf. Ab und zu sah man sich sowieso noch auf meinem täglichen Schulweg zum St Columb’s College.
BLOODY SUNDAY: DER BLUTSONNTAG
So kam schließlich Weihnachten, danach das neue Jahr 1972 und mit ihm mein Geburtstag, der 25. Januar. Vier Tage zuvor hieß die Schlagzeile auf der Titelseite der Tageszeitung „The Derry Journal“: „Raus mit der britischen Armee“ – Offener Brief der Nationalisten von Derry an Regionalkommandeur – „Überwältigende katholische Mehrheit sieht euch als Feind“.
Dieser offene Brief an den Regionalkommandeur enthielt folgende Passage:
Seit mehr als einem Jahr führt die britische Armee nun schon eine Kampagne der Einschüchterung, Unterdrückung und des regelrechten Terrors gegen die Katholiken dieser Stadt. Achtzig Prozent der Bevölkerung auf dem westlichen Ufer des Foyle, also die überwältigende katholische Mehrheit, betrachten Ihre Armee mittlerweile als Feind und als eine Besatzungsarmee.
Aller Protest, der von vielen Seiten gegen die Brutalität der Armee laut wurde, sei es nun von den 32 prominenten Katholiken, die sich aus den öffentlichen Ämtern zurückzogen und vier Stunden damit zubrachten, dem wenig zuhörbereiten General Tuzo die Gründe hierfür zu erklären, seien es die Klagen der geachteten Priester, die vergeblichen Warnungen der politischen Führer, oder die flehentlichen Bitten von leidenden Männern, Frauen und Kindern, all dieser Protest ist ignoriert worden, und Ihre Armee hat mit ihrem Verhalten in Derry eine Situation herbeigeführt, in der es möglicherweise zu einer Katastrophe kommen kann.
Als Befehlshaber haben Sie die oberste Verantwortung für die Exzesse, die Ihre Truppen anrichten. Der einfache britische Soldat muss sich, wenn er einen hilflosen Mann misshandelt, selbst zur Rechenschaft ziehen lassen, aber je höher der Dienstrang, umso größer ist auch die Verantwortung. Sie sollten wissen: Ganz gleich was Ihnen Ihre Spionage-Kriecher auch Gegenteiliges erzählen, die Antipathie gegen die britische Armee beschränkt sich keineswegs auf solche Menschen, die von Ihrer Propaganda-Maschinerie als „Hooligans“ bezeichnet werden – nein, sie ist in der gesamten katholischen Bevölkerung verwurzelt. Die Wahrheit über den Terror Ihrer Armee ist vielleicht noch nicht bis zum britischen Volk durchgedrungen. Aber das Volk von Irland weiß, was Ihre Männer angerichtet haben. Mehr und mehr Menschen in aller Welt verachten Großbritannien für das, was in diesem abgegrenzten Teil von Irland geschieht. Sie mögen hier Razzien durchführen, verhaften und internieren, Sie mögen auf die Katholiken in Derry schießen – aber Sie können die ungeheure Schande, mit der sich die britische Armee in den Straßen von Derry selbst besudelt hat, nie mehr entfernen.
Die Gefahr einer Katastrophe in Derry und die Wahrheit über den britischen Armee-Terror sollten sich neun Tage später bestätigen.
Die Bürgerrechtsbewegung hatte schon ganz große Straßendemonstrationen gegen die Internierungsaktion organisiert und angeführt, und eine weitere war fünf Tage nach meinem Geburtstag geplant, also für den dreißigsten Januar. Zweiundsiebzig Stunden vor diesem Marsch wurde ein Polizeiauto auf dem Creggan Hill, wo ein Teil der Marschroute verlaufen sollte, aus dem Hinterhalt von mindestens drei IRA-Männern mit Maschinenpistolen überfallen. Zwei RUC-Polizisten wurden dabei getötet,
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