The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
davon mochte ich probieren. Schließlich griff ich zu den gefalteten, stinkenden Wolldecken und abgenutzten Laken, um das Bett damit zu beziehen, legte mich hinein und fiel das erste Mal seit Donnerstag in eine Art Schlaf.
Später hörte ich Ketten und Schlüssel klirren, danach das Geräusch einer Metalltür, die jemand langsam und schwerfällig öffnete und dabei ihre Riegel zurückzog – ich glaubte, ich träumte. Mitten in der Nacht wurde meine Zellentür geöffnet. Selbst ich wusste, dass das ein Verstoß gegen die Sicherheitsregeln jedes Gefängnisses war, da Zellenschlüssel nachts nie in dem entsprechenden Gebäudetrakt aufbewahrt werden. Nervös setzte ich mich auf. In der Tür erschien vor dem Licht des Korridors der dunkle Umriss eines bulligen, hünenhaften Wärters, der hereinkam und mich fragte: „Bist du das Arschloch aus Londonderry, den sie neulich verhaftet haben?“ Ich war noch ganz verwirrt und nicht sicher, wo ich war und was hier vorging, und so murmelte ich: „Ja.“
„Deine Scheißkumpels haben heute Nachmittag einen jungen RUC-Polizisten totgeschossen. In den Rücken haben sie ihn geschossen, diese elenden Feiglinge, als Vergeltung für deine Festnahme. Er ist tot. Nur dass du’s weißt, sein Vater ist der Oberaufseher hier im B-Trakt, und morgen machen wir dich kalt! Kannst heute Nacht schon mal drüber nachdenken!“ Damit knallte er die Tür hinter sich zu, schob die Riegel davor und marschierte davon. Nun wurde mir klar, dass der Waffenstillstand nur eine Phase der Gewalt beendet hatte, und ich wusste, dass der nächste Tag und alle noch folgenden ziemlich unangenehm werden würden.
Ich konnte nicht schlafen, zog mich bei Tagesanbruch an und wartete auf die Attacke, die der Wärter für den Morgen angekündigt hatte. Es kam mir wie Ironie vor, dass diese protestantischen Wärter, von denen viele äußerst bibeltreu waren, ihren Sonntag damit begannen, dass sie mich zusammenschlugen. Ich sann darüber nach, dass der Sonntag eigentlich ein Tag der Ruhe sein sollte.
Von draußen war jetzt Schlüsselklirren zu hören, und viele Schritte, die sich meiner Tür näherten. Eine Stimme rief „Fertig!“, gleichzeitig flog die Tür auf und eine Horde Wärter kam mit fliegenden Fäusten und wilden Tritten hereingestürmt. Der Platz zwischen dem Eisenbett und dem Tisch war so eng, dass sie nicht alle gleichzeitig über mich herfallen konnten, aber sie packten mich sofort bei den Haaren und zerrten mich an eine Stelle, wo sie mich besser prügeln und treten konnten, während sie mich mit „republikanischer Scheißbastard“, „beschissenes IRA-Arschloch“, und „verdammter Katholen-Bastard“ beschimpften. Ich empfand unbändigen Hass auf diese Wärter. Schließlich wurde ich auf dem Boden liegengelassen, wusste kaum noch, wo ich mich befand, und war unfähig, Schmerz zu empfinden oder Blut zu schmecken. Ich konnte nichts anderes tun, als diese Misshandlung einfach zu ertragen.
Eine Lektion hatte ich bereits gelernt: Wir in Derry hatten unser ganzes Leben in einer Stadt verbracht, die mehrheitlich katholisch und nationalistisch gesinnt war, aber wir lebten in einer Traumwelt. Der Krieg, den wir allein gegen die britische Armee führen konnten, nahm das wirkliche Problem gar nicht in Angriff, nämlich die Millionen von Protestanten, die es tatsächlich gab, die eine äußerst reale Mehrheit in Nordirland waren, und die gegen die Vereinigung Irlands waren. Mit ihrer Polizeimacht und ihrem am Ort herangewachsenen Ulster Defence Regiment, mit ihrer Kontrolle über die Gefängnisse, in denen sie Katholiken und Republikaner regelrecht als Geiseln hielten, waren sie Inhaber der Staatsmacht. Sie waren willens, ihren Krieg ganz allein, ohne die Armee zu führen. Das war mir gleich klargeworden, als die protestantischen Detectives sich so verächtlich über die Eskorte von britischen Militärfahrzeugen ausließen und sich der Tatsache rühmten, dass sie mich unabhängig von der Armee verhaftet hatten. Meine Erkenntnis bestätigte sich sofort, als ich als feindlicher Katholik in ein protestantisches Gefängnis eingeliefert wurde, wo die Gefahr bestand, dass ich umgebracht würde. An diesem Sonntag wurde ich wiederholt zusammengeschlagen. Ich lag nur noch auf dem Boden und versuchte so viel von meinem Körper durch Bodenkontakt zu schützen, wie ich eben vermochte.
Am Montagmorgen erschienen die regulären Wärter, von denen viele das Wochenende frei gehabt hatten, zum Dienst und wollten mir in
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