The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
ähnlicher Weise Respekt zollen. Ich stand vor der Wand, um den engen Zwischenraum zwischen Bett und Tisch zu meiner Verteidigung zu nutzen, als die Tür aufging. Ich konnte kaum die Augen offen halten und sah in Zeitlupe, wie neue Wärter auf mich zugerast kamen. Merkwürdigerweise hielt einer von ihnen eine Zeitung in der Hand. Ich spürte die Hiebe und Tritte kaum und ebenso wenig, wie sie mich in einen Teil der Zelle zerrten, wo ich den Angriffen besser ausgesetzt war. Ein Wärter, der von da an die Attacken anführte, zog dermaßen an meinen Haaren, dass mein Kopf nahe an die Zeitung heran-kam. Er brüllte: „Sieh her, du republikanischer Bastard! Hier! Sogar dein Scheißbischof von Derry hat dich und deine Kumpels als Feiglinge verurteilt! Was sagst du dazu? Dein Scheißbischof ist derselben Meinung wie wir!“
Ich konnte „The Irish News“, eine katholische Tageszeitung, erkennen. In einer langen Schlagzeile ging es um die Erschießung des jungen Polizisten und den Kommentar des Lord-Bischofs dazu, aber mit keinem Wort wurde der Waffenstillstandsbruch erwähnt.
Die Wochentags-Wärter hatten aber noch mehr geplant, als mich nur zusammenzuschlagen. Ihr Anführer, dessen Namen ich heute noch weiß, riss die Betttücher zu langen Streifen auseinander und brachte sie an den hohen Fenstergittern an, wobei er brüllte: „Hör zu, du Bastard, das hier ist dein einziger Ausweg! Entweder tust du’s, oder wir machen dir gründlich das Leben zur Hölle. Und wenn du’s nicht tust, dann tun wir es!“ Und damit verließen sie die Zelle, stellten aber einen jungen Wärterlehrling vor die Tür, der den ganzen Tag über das Licht an- und ausmachen sollte. Selbst als dieser seine irrsinnige Aufgabe leid wurde, hörte ich, wie sie ihm zuriefen, er solle gefälligst weitermachen.
Um neun Uhr morgens kamen sie wieder, packten mich und zerrten mich aus der Zelle den Gang entlang, während andere Gefangene von verschiedenen Galerien aus zusahen. Ich begriff, dass jetzt ein internes Gericht stattfand, vor dem ich zu hören bekam, welche Verstöße gegen die Disziplinarordnung mir vorgeworfen wurden. Zwar hatte ich überhaupt keine begangen, aber der Gefängnisleiter befand mich trotzdem für schuldig und verurteilte mich zu drei Tagen Einzelhaft. Das bedeutete, dass sie, statt mich Montagmorgen in den IRA-Flügel zu bringen, meinen Verbleib im B-Trakt sichergestellt hatten, wo sie über mich herfallen konnten, wann immer sie wollten.
Der Gefängnisleiter blickte nicht einmal von dem Papierkram vor ihm hoch, um meine Verletzungen zu sehen und festzustellen, dass nicht einer der Wärter irgendwelche hatte. Er schaute nicht auf, um meinen Zustand von restloser Erschöpfung und Stress deutlich zu sehen. So lernte ich frühzeitig die Lektion, dass Gefängnisse und ihre Aufseher außerhalb des Gesetzes stehen und Gefangene foltern können, ohne irgendwelche Strafen zu befürchten. Ein paar Jahre später wurde eben dieser Gefängnisleiter aus einem IRA-Hinterhalt erschossen, und ich muss zugeben, dass ich so verbittert über ihn war, dass ich nicht das geringste bisschen Mitleid empfinden konnte.
Etwa einen Tag später, als ich immer noch hinter den Gittern des B-Trakts vor mich hin litt, verdichtete sich das Paradoxe der Situation in drastischer Weise, als draußen vor dem Gefängnis die RUC-Polizeikapelle den Totenmarsch spielte, während der Trauerzug gerade das nahegelegene Haus des Oberaufsehers verließ. Überall im ganzen Gefängnis konnte man die Kapelle deutlich hören. Da kamen die Wärter des B-Trakts wieder herein, um mich zu dieser musikalischen Begleitung zu malträtieren. Ich hatte weder geschlafen noch sonstwie geruht, weder mich gewaschen noch etwas gegessen, und es lohnte sich eigentlich gar nicht, mich noch länger zu schlagen oder zu treten. Kurz nach der Beerdigung kam Oberaufseher Clarke, der einzige Katholik, den ich jemals im Gefängnis von Belfast getroffen habe, in meine Zelle. Er sah sich meine Verletzungen und meinen Zustand gründlich an und sagte, er würde mich, ganz egal, was die B-Wärter auch sagten, in den IRA-Trakt verlegen lassen. Diese standen hinter ihm versammelt und beschimpften uns beide, aber er ignorierte sie und brachte mich in den A-Flügel. Die IRA-Leute dort erzählten mir, sie hätten dem Gefängnisleiter mit Krawall gedroht, wenn ich nicht sofort in ihren Gebäudetrakt gebracht würde.
Der Umstand, dass ich jetzt nicht mehr unter ihrer Kontrolle stand, brachte die Wärter des
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