The Volunteer. Erinnerungen eines ehemaligen IRA-Terroristen (German Edition)
gleich die Londoner Polizei auf mich wartete, mir die Londoner Briefbombenserie zur Last legte und mich an Bord eines Ministerflugzeuges der Königlichen Luftwaffe in die britische Hauptstadt flog.
Die Presse schrieb von der Verhaftung des gesuchten Bombenlegers von London, des „Superhirns“, des IRA-Aktivisten, der dank ausgezeichneter Detektivarbeit soeben gefasst und unverzüglich nach London gebracht worden war, um dort seiner gerechten Strafe zugeführt zu werden.
Niemand dort wusste oder hätte sich dafür interessiert, dass die britische Regierung einen Waffenstillstand mit der IRA geschlossen hatte, dass die beiden Seiten umfassende Verhandlungen geführt hatten, dass ich schon seit fast sechs Monaten nicht mehr aktiv war, als ich unter Verletzung des Waffenstillstands-Abmachungen verhaftet wurde, und dass ich weitere vier Monate in einem Gefängnis in Belfast zugebracht hatte.
Meine arme Mutter! Sie hatte durchaus einigen Trost darin gefunden, dass ich verhaftet und dem gefährlichen Konflikt entzogen worden war, der mich jederzeit das Leben kosten konnte. Ihrer Ansicht nach war in der Haft zumindest meine Sicherheit gewährleistet, und mein Leben unterlag einer Art konstanter Ordnung. Nun musste sie verkraften, dass ich erst plötzlich entlassen, dann von der Londoner Polizei wieder verhaftet und schließlich wegen der Londoner Briefbomben in die obersten Schlagzeilen der britischen Medien katapultiert wurde. So machte ich ihr weiterhin das Leben zur Hölle.
Im Herbst 1975 fielen nicht nur die Blätter von den Bäumen, sondern es ging auch der bisher längste Waffenstillstand seit Beginn der Unruhen zu Boden, was sich in der Wiederaufnahme von Bombenattacken in London und einer gänzlich neuen Serie von Erschießungen deutlich zeigte. Ross McWhirter hatte eine hohe Belohnung auf Informationen ausgesetzt, die zur Verhaftung von in London aktiven IRA-Terroristen führen würden. Prompt erschossen diese ihn vor seiner Haustür.
Ich verbrachte ein ganzes Jahr in Untersuchungshaft im Londoner Gefängnis Brixton, bevor im September 1976 meine Gerichtsverhandlung am Gerichtshof Old Bailey stattfand. Währenddessen galt ich als Hochsicherheitsgefangener der Stufe A, was bedeutete, dass ich in zwei verschiedenen Abteilungen jeweils eine Einzelzelle und sehr viel Zeit zum Nachdenken hatte. Nun, da ich nicht mehr im Spiel war, erlaubte ich mir den Luxus und die Freiheit, alles zu lesen, was ich wollte. Dabei interessierte mich Ethik, und insbesondere die Doktrin des gerechten Krieges. Da ich ja schon wusste, wie man Krieg führt, wollte ich jetzt lernen, wie man Frieden, einen gerechten Frieden, herbeiführt und aufrechterhält. Alles, was ich las, studierte ich in der Absicht, die Gewalt zu rechtfertigen, die ich praktiziert hatte.
Im Gefängnis von Brixton gab es zwei Jesuiten-Priester, Pater Anthony Lawn und Pater James Langan, die sich das Amt des Kaplans teilten. Der letztere tat dies in Teilzeit, als Vertretung für den hauptamtlichen Gefängnis-Kaplan Pater Lawn. Lawn war bei den irischen Häftlingen keineswegs beliebt, denn er war früher Armeeoffizier gewesen, hatte sich zum Priester ausbilden lassen und war ein erklärter englischer Nationalist. Gern erzählte er die Geschichte, wie er darauf bestanden hatte, in seinem Pass seine Staatsangehörigkeit nicht, wie üblich, formal als „britisch“, sondern als „englisch“ bezeichnet zu sehen. Er gab mir klare Antworten auf klare Fragen, und nachdem ich ihn erst lange Zeit nicht mochte, entwickelte ich schließlich doch Respekt vor seinem schrulligen, aufrichtigen und eigenwilligen Charakter. Jahre später bekam er an der Seite von Jeremy Irons in dem Film „Mission“ eine Rolle als jesuitischer Missionar in Lateinamerika, und ich fand, dass er den eifernden Jesuiten gar nicht groß zu schauspielern brauchte.
Pater Langan hingegen war ein Mensch, den ich augenblicklich liebgewann. Er hatte ein schwaches Herz und musste sich setzen, um die Messe zu lesen, was bedeutete, dass er und ich, da ich in Hochsicherheits-Einzelhaft war, die Messe zusammen an einem kleinen Tisch in Form einer Mahlzeit haben konnten. Er hatte ein sehr gutes Verhältnis zu den damals berühmten Geschwistern Price gehabt. Die Schwestern hatten einem Team von IRA-Bombenlegern angehört und waren im Gefängnis von Brixton sehr lange im Hungerstreik, womit sie ihre Forderung, nach Nordirland verlegt zu werden, durchsetzen wollten. Man hatte sie zwangsernährt, was zu viel
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