The Walking Dead 3: Roman (German Edition)
Boss.«
Gus dreht sich auf dem Absatz um. Er hat sein großkalibriges Gewehr unter den Arm geklemmt wie eine zusammengefaltete Morgenzeitung, die er noch nicht gelesen hat. Martinez und Lilly blicken ihm nach, als er um eine Ecke verschwindet.
Lilly wendet sich gen Osten und sieht, wie die Morgensonne langsam über die Barrikaden steigt. Es ist noch nicht einmal sieben in der Früh, aber die Kälte der Nacht und der vorangegangenen Woche ist bereits wie weggeblasen. In dieser Ecke Georgias kann der Frühling so oder so kommen – entweder kalt und feucht, oder aber es dauert nur wenige Stunden, und dann ist es warm und schwül wie in den Tropen –, ohne jegliche Vorwarnung.
»Lilly, warum setzt du dich nicht hinten rein, zusammen mit den anderen?« Martinez nickt in Richtung eines nahestehenden Militärtrucks. »Ich nehme den alten Gus mit nach vorne. Nur für den Fall, dass es etwas zum Abballern geben sollte.«
Der schwere Laster steht unter den Wipfeln hin und her schwingender Eichen im rechten Winkel zu dem Sattelschlepper. Außer den riesigen, mit Schlamm bekleckerten Reifen weist er auch noch eine dicke Panzerung auf, gegen die selbst Minen machtlos sind. Das Gefährt ist so unzerstörbar wie ein Panzer und stellt eine erst kürzlich erfolgte Anschaffung aus dem Lager der National Guard, wenige Kilometer von Woodbury entfernt, dar. Der Eingang zur hinteren Ladefläche ist mit einer Plane bedeckt.
Als Martinez und Lilly auf den Truck zugehen, kommt ein älterer Mann mit einer Baseballkappe und einem glänzenden Blazer um die Ecke. In den Händen hält er einen öligen Lappen. Es handelt sich um einen wettergegerbten, drahtigen Mann Mitte sechzig mit intelligent funkelnden Augen und einem eisengrauen Ziegenbart. David Stern legt die unverbesserlichen Manieren eines College-Football-Coaches an den Tag, gibt sich herrisch, manchmal gar rechthaberisch. »Ein ganzer Liter hat gefehlt … Sollte aber erst mal wieder reichen. Guten Morgen, Lilly.«
Lilly erwidert die Begrüßung mit einem noch etwas schwerfälligen Kopfnicken, gefolgt von einem schlaftrunkenen »Hallo«.
Gus erscheint wieder, in den Armen ein paar mitgenommen aussehende Reservekanister aus Plastik.
»Schmeiß sie einfach hinten rein, Gus.« Martinez geht um den Truck herum, Lilly und David kommen hinterher. »David, wo hast du denn deine Dame gelassen?«
»Hier bin ich!«, ertönt eine Stimme, und die Plane der Ladefläche wird beiseitegeschoben, ehe Barbara Stern ihren ergrauenden Schopf aus dem hinteren Teil des Trucks steckt. Auch sie ist fortgeschrittenen Alters. Barbara trägt eine Jeansjacke über einem sonnengebleichten hawaiianischen Mu’umu’u-Kleid. Ihr mit tiefen Falten versehenes, sonnengebräuntes Gesicht strahlt förmlich vor messerscharfem Witz, der ihren Mann die ganzen Jahre ihrer Ehe auf Trab gehalten hat. »Ich versuch dem Jungen hier noch etwas beizubringen – eine Sisyphus-Arbeit, das kann ich euch sagen!«
Der »Junge«, von dem sie gerade gesprochen hat, streckt jetzt selber den Kopf unter der Plane hervor.
»Mecker, mecker, mecker«, scherzt der junge Mann mit einem schelmischen Lächeln. In den tiefen Augen des Milchgesichts, das keinen Tag älter als zweiundzwanzig aussieht und von langen, dunklen, espressobraunen Locken umrahmt wird, lässt sich nichts als Unfug herauslesen. Mit seiner ledernen Bomberjacke und den vielen Ketten um seinen Hals macht er, Austin Ballard, den Eindruck eines Rockstars zweiter Klasse, eines unverbesserlichen Enfant terrible. »Wie zum Teufel hältst du das nur aus, Dave?«, fragt er ihren Mann.
»Viel saufen und zu allem, was sie vorschlägt, Ja und Amen sagen«, witzelt David Stern, der hinter Martinez steht. »Barbara, hör endlich auf, den Jungen zu bemuttern.«
»Der wollte sich hier drinnen eine Zigarette anzünden! Man sollte es kaum glauben«, grummelt Barbara Stern. »Willst du etwa, dass ich ihn hier rauchen lasse, sodass er uns alle per Express Richtung Himmel befördern kann?«
»Okay, jetzt beruhigt euch alle mal wieder.« Martinez prüft das Magazin seines Maschinengewehrs. Er ist ganz auf den bevorstehenden Ausflug konzentriert und zeigt leichte Anzeichen von Nervosität. »Wir haben einen Job vor uns. Ihr wisst genau, was euch bevorsteht. Lasst uns das alles mit einem Minimum an Bullshit über die Bühne bringen.«
Martinez weist Lilly und David an, sich den anderen beiden hinten auf dem Truck anzuschließen. Er selbst begibt sich mit Gus zur
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