The Walking Dead 3: Roman (German Edition)
sieht Austin Ballard aus, als ob man ihm gerade einen Dorn aus dem Fußbett gezogen hätte.
Sie machen es sich in Lillys behelfsmäßigem Wohnzimmer inmitten von Pappkartons, Teppichüberresten und nutzlosen Dingen, die ehemalige Bewohner zurückgelassen haben, gemütlich. Lilly kocht etwas Kaffee auf, und so sitzen sie im Lampenlicht und unterhalten sich. Sie reden über ihre Kindheit – wie sie aus ähnlichen, harmlosen Vorstädtchen voller Sackgassen, Pfadfindergruppen und Kirchenbazaren stammen –, gefolgt von dem obligatorischen Austausch in dieser grässlichen neuen Welt über das, was man vorhat, sobald ein Gegenmittel gegen die Plage gefunden worden ist. Austin will sich irgendwo einen warmen Platz suchen, dazu eine gute Frau, und für den Rest seines Lebens Surfboards bauen – oder so in der Art. Lilly erzählt ihm von ihrem Traum, Mode-Designerin zu werden, dass sie nach New York will – als ob New York überhaupt noch existieren würde –, um die Stadt im Sturm zu erobern. Lilly spürt, dass sie diesen zottigen, freundlichen jungen Mann immer mehr ins Herz schließt. Sie kann es kaum fassen, dass sich eine solch anständige, einfühlsame Person unter der an den Tag gelegten Arroganz verstecken kann. Sie grübelt, ob die Playboy-Masche vielleicht nur eine Art schiefgelaufener Selbstverteidigungsmechanismus ist. Oder vielleicht sind es die Folgen von dem, was jeder andere in dieser postapokalyptischen Welt auch durchmacht – dem niemand einen Namen geben kann, das sich aber anfühlt wie eine bösartige, um sich greifende Überbelastungsstörung. Ganz gleich, welche neuen Offenbarungen Austin ihr enthüllt, Lilly ist sehr froh darüber, dass er ihr heute Abend Gesellschaft leistet, und sie reden bis in die frühen Morgenstunden.
Nach einer Weile, es ist schon sehr spät oder früh, je nachdem, wie herum man es sieht, herrscht eine peinliche Stille; Lilly lässt den Blick durch ihre dunkle Wohnung wandern und versucht sich daran zu erinnern, wo sie ihren kleinen Vorrat an Alkohol versteckt hat. »Weißt du was?«, sagt sie endlich. »Wenn ich mich recht erinnere, habe ich noch irgendwo eine halbe Flasche Southern Comfort gebunkert. Natürlich nur für Notfälle.«
Austin schaut sie vielsagend an. »Und bist du dir sicher, dass du sie opfern möchtest?«
Sie zuckt mit den Achseln, steht von der Couch auf und trippelt durch das Wohnzimmer auf einen Stapel Kisten zu. »Wie mein Vater immer gesagt hat: ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!‹«, murmelt sie und wühlt durch Wolldecken, Wasserflaschen, Munition, Pflaster und Desinfektionsmittel. »Hallo, Liebe meines Lebens«, gibt sie endlich von sich, als sie die reich verzierte Flasche mit teefarbener Flüssigkeit entdeckt.
Sie kehrt zu der Couch zurück und öffnet die Flasche. »Auf eine gute Nacht!«, toastet sie, setzt an und nimmt einen großen Schluck, um sich dann die Lippen mit dem Ärmel abzuwischen.
Sie setzt sich neben ihn und reicht ihm die Flasche. Austin, der vor Schmerz zusammenzuckt, nimmt ebenfalls einen Schluck, setzt ab und schneidet eine Grimasse – teils von dem Brennen in seinem Rachen, teils von den Schmerzen in seinen Rippen. »Verdammt, ich bin ein solches Weichei!«
»Was sagst du da? Du bist kein Weichei. Ein junger Typ wie du, auf Ausflügen unterwegs … Hast dich heute schon selbst gegen die Beißer behauptet.« Sie nimmt die Flasche wieder an sich und setzt erneut an. »Mach dir da mal keine Sorgen darüber, was andere Leute von dir denken.«
Er blickt sie an. »›Junger Typ‹? Und was bist du dann? Eine Seniorin? Lilly, ich bin beinahe dreiundzwanzig!« Er schnappt sich den Likör, lässt den Alkohol die Kehle runterfließen und schüttelt sich dann von dem Brennen. Er hustet und hält sich die Rippen. »Fuck!«
Sie unterdrückt ein Kichern. »Alles klar bei dir? Möchtest du etwas Wasser? Nein?« Sie nimmt ihm die Flasche ab und stürzt den Inhalt in sich hinein. »Wenn du es schon wissen willst, ich bin alt genug, um … um deine ältere Schwester zu sein.« Sie rülpst, kichert erneut und hält sich dann die Hand vor den Mund. »Verdammt! Tut mir leid.«
Er lacht. Der Schmerz sticht wie Flammen in seinem Brustkorb, und er zuckt zusammen.
Sie trinken und reden, bis Austin erneut zu husten beginnt und zusammenzuckt.
»Alles klar bei dir?« Sie streckt die Hand nach ihm aus und streicht ihm eine Locke aus den Augen. »Willst du ein Schmerzmittel?«
»Mir geht es gut!«,
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