The Walking Dead 3: Roman (German Edition)
Scheide fehlt, aber das prächtige Schwert – es strahlt selbst in dem schwachen Licht – zieht die Frau an wie ein Feuerwerk. Der Stil erinnert an ein Samuraischwert aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Es ist handgefertigt, kunstvoll gearbeitet von einem der wenigen Meister-Schwertschmiede, die dessen fähig sind. Allein der Anblick des Katana-Schwertes lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die lange Klinge ist so elegant geschwungen wie ein Schwanenhals, der Griff mit handgegerbtem Schlangenleder versehen. Die Waffe ist sowohl ein Kunstwerk als auch ein todbringendes Präzisionsinstrument.
Als sie das funkelnde Schwert sieht, scheint die Frau sich aufzurichten. Gänsehaut breitet sich auf ihren Armen und Beinen aus. Und urplötzlich verschwindet all ihr Hass, die nicht zu ertragenden Schmerzen zwischen ihren Beinen, sämtliches weißes Rauschen in ihrem Kopf … und macht dem intuitiven Verlangen Platz, ihre Hände um den perfekt balancierten Griff zu legen. Die Gegenwart der Waffe verwandelt sie, hypnotisiert sie, dass sie kaum noch die Stimme des Monsters ihr gegenüber wahrnimmt, das unentwegt weiterschwatzt.
»Ich würde es dir gerne geben, wenn du es denn annehmen willst.« Die Stimme des Governors schwindet in den Hintergrund, je mehr das Schwert die Frau in seinen Bann zieht – die glänzende Sichel aus Stahl, ein Stückchen Neuland, das alles andere in der Zelle, in der Welt, im ganzen Universum in den Schatten stellt.
»Du wirst gegen einen Mann kämpfen«, erklärt das Monster, aber sie nimmt die Stimme kaum noch wahr. »Und für die Zuschauer. Es wird so aussehen müssen, als ob du die Oberhand hast. Die Leute mögen es nicht, wenn Kerle Frauen windelweich prügeln.« Eine kleine Pause. »Ich weiß … Ich verstehe es auch nicht. Aber ich glaube, wenn du mit einem Schwert in der Hand auf ihn losgehst, kann er dir ruhig einen mit seinem Baseballschläger verpassen.«
In der traumatisierten Wahrnehmung der Frau beginnt das Schwert beinahe sanft zu summen, zu vibrieren. Es glänzt so hell in der düsteren Zelle, als ob es Feuer gefangen hat.
»Und im Gegenzug kannst du dich eine ganze Woche lang ausruhen«, verspricht ihr das Monster. »Und Essen gibt es, vielleicht sogar einen Stuhl und ein Bett. Kann ich aber nicht versprechen, muss ich erst mal sehen.« Der Schatten des Monsters ragt nun über ihr auf. »Um mal ganz ehrlich zu sein, ich finde unsere kleine Beziehung ganz schön anstrengend. Eine kleine Pause würde mir auch ganz guttun.« Er starrt sie mit einem obszönen Grinsen an. »Aber nur eine kleine Pause, weil ich immer noch ganz schön sauer wegen meines Ohrs bin. Na ja, ein wenig Rache habe ich ja schon gehabt.« Eine Pause. »Und außerdem, der Typ, gegen den du heute Abend kämpfst, könnte dich einfach niedermachen.«
In den Augen der Frau beginnt die Schwertspitze himmlisch zu strahlen.
»Und ich will nicht, dass du ihn umbringst«, meint das Monster. »Das ist das kleine Geheimnis, das die Zuschauer nicht wissen. Unsere netten Auseinandersetzungen in der Arena sind kaum mehr als Showkämpfe. Die Beißer stellen eine gewisse Gefahr dar, okay – aber man darf dem Gegner nicht allzu sehr wehtun.«
Der Lichtstrahl, der aus dem Schwert strömt, scheint jetzt die Frau auf dem Boden zu erreichen. Die Stimme in ihrem Kopf verspricht ihr flüsternd … gedulde dich, warte einfach. LANGMUT .
»Du musst dich noch nicht festlegen«, sagt der Governor und nickt Bruce zu. Sie gehen zum Garagentor, und der Governor meint noch beiläufig im Gehen: »Ich gebe dir zwanzig Minuten.«
Lilly klappert ganz Woodbury nach Austin ab, schaut in jeder Ecke, erkundigt sich überall. Nachdem sie mit den Sterns gesprochen hat, macht sie sich Sorgen, dass er auf eigene Faust Woodbury verlassen hat, um eine sagenumwobene Marihuana-Farm zu finden.
Austin hat hin und wieder davon erzählt – dabei stets einen wehmütigen Tonfall in der Stimme, als ob er vom Paradies auf Erden schwärmen würde. Er hat diverse Gerüchte wiederholt – angeblich sei die Plantage Teil eines Regierungsprojekts. Man hat sich darauf vorbereitet, das Kraut zu »dekriminalisieren«, und man wollte genügend Vorräte haben, es selbst am Stichtag auf den Markt bringen zu können.
Lilly wollte ihm schon dahin folgen – die viel gerühmte Farm soll angeblich etwas östlich von Barnesville liegen, was eine kurze Fahrt mit dem Auto oder einen Tagesmarsch bedeuten würde. Aber am späten Nachmittag bringt sie noch
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