The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
bis wir das Heilmittel gefunden hatten. Andererseits konnte ich unmöglich von ihr verlangen, noch weiter so zu leiden. Diese Entscheidung lag nicht bei mir.
Ich kroch auf Rachel zu. Joshua war direkt hinter mir, als ich Rachels Hand nahm. »Es tut mir so leid, dass wir nicht schnell genug waren.«
»Es ist nicht eure Schuld. Die Regierung ist dafür verantwortlich.«
»Wir werden die Schweine aufspüren, die dir das an getan haben. Sie werden dafür bezahlen, Rachel. Das verspreche ich«, sagte ich und spürte, wie kalte Wut in mir aufstieg.
Sie schluckte langsam und atmete rasselnd. Dann packte sie die Waffe so fest, dass sich ihre Knöchel weiß färbten. »Ich … ich muss das jetzt hinter mich bringen. Bevor es zu spät ist.«
Ich beugte mich vor und küsste sie auf die Stirn. »Ich werde dich vermissen«, sagte ich und kämpfte gegen die Tränen an. Joshua umarmte Rachel sanft und sagte ihr flüs ternd Lebewohl. Wir standen auf und traten zur Seite. Tyler stellte sich neben sie, wandte sich nach ein paar Augenblicken jedoch ebenfalls ab.
Zu dritt beobachteten wir die ersten Sonnenstrahlen, die sich rosa und violett am Himmel abzeichneten. Immerhin war es Rachel vergönnt, noch einmal diesen Anblick zu erleben. Sie erwiderte meinen Blick und drückte den Lauf gegen die Schläfe. Ihr Finger krümmte sich um den Abzug. Ich schloss die Augen.
Der Schuss dröhnte in meinen Ohren und ging mir durch und durch. Ich erstarrte, öffnete die Augen, konnte aber nicht hinsehen. Als ich Joshuas Arme spürte, ließ ich mich hineinsinken. Atemlos hielt er mich fest, dann vergrub er sein Gesicht in meinem Haar und holte ein paarmal tief Luft.
Tyler stand erschüttert da und sah Rachels Leiche mit großen Augen an. Einen Augenblick lang war es, als hätte sie auch sein Leben beendet, als sie den Abzug gedrückt hatte. Er taumelte an uns vorbei und ging neben ihr in die Knie.
»Tyler?«, flüsterte ich. Sein Name schnitt wie eine Glasscherbe in meine Kehle.
Joshua schüttelte den Kopf und wandte sich ab. »Er muss jetzt allein sein.«
Wir ließen ihm genug Zeit, um sich zu verabschieden.
Die trockene Erde machte es fast unmöglich, ein Grab auszuheben. Wir buddelten mit den bloßen Händen, und schon bald waren meine Haut aufgeschürft und meine Fingernägel abgebrochen. Die Sonne brannte unbarm herzig auf uns herab, und ich konnte bereits den ätzend-süßlichen Gestank der Verwesung riechen.
Das Loch war bei Weitem nicht tief genug. Ein Fuchs oder ein Kojote konnten die Leiche ohne Mühe wieder ausbuddeln. Doch wir hatten keine Zeit, um Rachel eine angemessene letzte Ruhestätte zu bereiten. Wie wäre das mitten im Nirgendwo auch möglich gewesen? Sie hätte es verdient, auf einem Friedhof bestattet zu werden – in der Nähe der Menschen, die sie gekannt und geliebt hatten. Ich verabscheute die Vorstellung, sie hier mutterseelenallein liegen zu lassen.
Joshua und Tyler hoben Rachel in das Loch. Ich sah den Leichnam erst an, als sein Kopf bereits mit Erde be deckt war, dann half ich dabei, das Grab wieder zu zuschütten. Sie war nur durch eine ungefähr fünf Zenti meter dicke Erdschicht vor den gierigen Raben geschützt, die uns bereits aus sicherer Entfernung beobachteten. Eigentlich hätten wir ein Gebet sprechen oder ein paar Worte sagen sollen, doch mir fiel beim besten Willen nichts ein.
Tyler schwieg seit dem Schuss, und er hatte uns auch kaum angesehen.
Vor 2 Stunden und 26 Minuten hatte Rachel den Abzug gedrückt. Vor 22 Stunden und 15 Minuten hatten wir Bobby verloren.
Tyler wandte sich vom Grab ab und marschierte davon. Joshua und ich folgten ihm. Von der Anstrengung war ich so verschwitzt, dass sich der Staub auf meinem Körper in eine Schlammschicht verwandelt hatte, die jetzt in der Sonne trocknete und meine Haut und meine Kleidung wie einen Panzer bedeckte.
Tyler setzte mechanisch einen Schritt vor den anderen. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos.
»Weiß er, wo er uns hinführt?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Er wirkt irgendwie neben sich.«
»Wenn wir nicht bald was zu trinken finden, geht es uns ganz genauso.«
Joshua nickte und beschleunigte mit entschlossener Miene seine Schritte. »Hey, Tyler!«
Keine Reaktion.
»Tyler!« Joshua berührte seine Schulter. Tyler blieb unvermittelt stehen, sodass wir fast in ihn hineingelaufen wären. Einen Augenblick lang schien er uns nicht zu erkennen, doch dann rieb er sich die Augen und erinnerte sich offensichtlich wieder an uns.
»Gehen wir
Weitere Kostenlose Bücher