The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
auch in die richtige Richtung?«, fragte ich.
Er antwortete mit einem fast unmerklichen Achsel zucken. Mir rutschte das Herz in die Hose.
»Hör mal, wir brauchen als erstes Wasser«, sagte Joshua. »Danach können wir das Labor suchen.«
Der Highway durchschnitt die eintönige Landschaft. Aufgegebene Autos standen zu beiden Seiten der Straße, Gestrüpp beugte sich unter der drückenden Sonne. Auf dieser Seite des Zauns hätte ich eigentlich Menschen, ja überhaupt irgendwelche Lebenszeichen erwartet. Aber hier war alles völlig verlassen.
Irgendwann tauchte ein altes Farmhaus wie eine Fata Morgana aus dem Sand auf. Die flirrende Hitze verwischte die Konturen des Gebäudes. Mein Herz machte einen Satz. War das endlich die Gelegenheit, Kontakt mit den Menschen jenseits des Zauns aufzunehmen?
»Ist das nicht zu gefährlich?«, fragte Mom.
»Keine Sorge. Ich weiß schon, was ich tue«, antwortete Grandpa.
Mom wirkte nicht besonders überzeugt, ließ sich aber trotzdem neben Grandma, die zum ersten Mal seit Tagen lächelte, auf dem Sofa nieder.
Bobby und ich setzten uns zu Grandpa auf den Boden. Dad dimmte die Halogenlampe und setzte Mia auf seinen Schoß.
Mit einem Rauschen flackerte die Flamme des Campingkochers hoch und tauchte den Raum in orangerotes Licht. Grandpa reichte jedem von uns einen Stock, auf den ein Marshmallow gespießt war. Wir hielten sie über das kleine Feuer.
Wenn ich die Augen schloss, sah ich nicht mehr die weißen Wände des Bunkers vor mir, sondern stellte mir vor, dass wir mit Grandpa im Wald campen waren. Ich vermisste das Rauschen der Blätter im Wind, den Abendgesang der Vögel und den Duft des Frühlings – so voller Leben, voller Möglichkeiten. Ich vermisste das Gefühl von Regen auf meiner Haut.
Der süße Geruch schmelzender Marshmallows stieg mir in die Nase, und ich erlaubte mir für kurze Zeit, so zu tun, als wären wir nicht hier gefangen, als hätten wir nicht die letzten 49 Tage in diesem Bunker verbracht.
Grandpa spielte auf seiner Gitarre und sang »Country Roads Take Me Home«. Wir sangen mit, bis unsere Stimmen den kleinen Raum erfüllten und die Frustration und die Sorgen, die über uns schwebten, verscheuchten.
Sechs
Ich konnte kaum die Füße heben, während wir über ein Feld trotteten, auf dem wohl einmal Korn gewachsen war. Als wir näher kamen, sah ich die ausgebleichte Holzfassade des Farmhauses und bemerkte, dass mehrere Dachziegel fehlten. Verzweiflung erfasste mich – das Haus war verlassen. Die Eingangstür war mit einem Vorhänge schloss gesichert. Joshua, der inzwischen sehr durstig war, versuchte, es mit seinem Messer zu öffnen. Als das nicht klappte, warf er sich verzweifelt gegen das alte Holz. Die Tür knarrte und quietschte, gab jedoch nicht nach.
»Verflucht!« Joshua sank auf den Boden. Er kniff die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zusammen und sah Tyler an. »Wie weit ist es noch bis zum Labor?«
»Ich weiß nicht genau. Nicht mehr weit, glaube ich. Keine Ahnung.« Tylers Augen waren glasig und starrten ins Leere, und er sprach mit flacher Stimme.
»Na toll. Wir sind mitten in der Prärie und haben kein Wasser. Das Militär sucht wahrscheinlich auch schon nach uns.« Frustriert lehnte Joshua den Kopf gegen die Holzbalken.
Auf einmal bemerkte ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Ein Schatten huschte vom Traktor zum Dodge. Sofort griff ich nach der Waffe in meinem Hosen bund. Joshua war schneller – so schnell, wie ich es in sei nem Zustand niemals für möglich gehalten hätte. Er sprang auf die Motorhaube und darüber hinweg, bevor ich auch nur blinzeln konnte. Ich rannte ihm nach. Sterne tanzten vor meinen Augen.
Joshua kniete über einem Mädchen, das ungefähr in meinem Alter war, und hielt ihr sein Messer an die Kehle. Sie versuchte sich zu befreien, trat um sich und schrie. Irgendwann beruhigte sie sich. Langsam nahm Joshua die Knie von ihr herunter und stand auf, ohne das Messer von ihrer Kehle zu nehmen. Mit einer Geste gab er mir zu verstehen, dass ich in sicherer Entfernung bleiben sollte. Tyler kam leise und vorsichtig auf uns zu. Zu meiner Freude bemerkte ich, dass der apathische Ausdruck aus seinen Augen verschwunden war.
»Wer bist du?«, fragte Joshua mit vor Durst heiserer Kehle. Er zog eine Pistole aus dem Halfter um die Hüfte des Mädchens.
»Alexis«, sagte das Mädchen und setzte sich auf, ohne den Blick von dem Messer in Joshuas Hand zu nehmen.
»Was machst du hier?«
»Ich bin euch gefolgt«, sagte
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