The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
geben würde.
»Wo sind die anderen?«, fragte ich.
In den ersten Tagen waren die Undergrounders unter sich geblieben. Sie hatten sich erst an uns gewöhnen müs sen, bevor sie uns vertrauten.
»Die spielen draußen Volleyball«, sagte Bobby.
Ich sah durch das Fenster auf den großen Rasen vor der Mission. Die Kids hatten sich aus zwei Stöcken und einem Bettlaken ein Netz gebaut. Sie spielten und lachten.
Mom sah mich an. Unsere Blicke trafen sich, und wieder war ich überrascht, weder Wut noch Anklage in ihren Augen zu sehen. Ich setzte mich neben Bobby. Mom schenkte mir ein halbherziges Lächeln. Mia summte, während ihre Finger flink durch Moms Haar fuhren. Noch hatten wir ihr nicht erzählt, dass Dad erst vor vier Tagen gestorben war. Für sie war er schon seit Langem verschwunden.
»Wie geht’s dir?«, flüsterte ich.
Bobby zuckte mit den Schultern. »Ganz gut, denke ich.« Er hatte noch nicht darüber gesprochen, was ihm in der Militärbasis zugestoßen war. Ich hatte gehofft, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte, doch seine nächtlichen Schreie belehrten mich eines Besseren. »Warum spielst du nicht mit den anderen?«
»Ich hab keine Lust.«
Ich seufzte, weil ich genau wusste, was er damit meinte.
»Weißt du, manchmal hab ich vor mir selbst Angst.«
»Wieso?«
»Wenn ich ein Eichhörnchen oder einen Vogel be obachte, der über mich wegfliegt, will ich ihm hinterherjagen. Das ist echt unheimlich. Als würde ein Teil von mir am liebsten irgendwas in Stücke reißen.« Bobby schüttelte den Kopf, als wollte er diese Vorstellung aus seinen Gedanken vertreiben.
Mom stand auf und gesellte sich zu uns an den Tisch. Mia lief nach draußen zu Emma und Marie, die das Volley ballspiel verfolgten. »Das wird schon wieder. Karen sagt, dass es etwas dauern wird, bis du die Angewohnheiten loswirst, die du dir als … Weeper zugelegt hast. Bald bist du wieder ganz normal«, sagte sie.
Trotz seiner Proteste wuschelte ich Bobbys Haar. »Bobby war noch nie normal.«
»Haha. Sehr witzig.« Bobby verschränkte die Arme, doch mir war nicht entgangen, dass mein Scherz seine Stimmung etwas gehoben hatte.
»Euer Dad wäre sehr stolz auf euch«, sagte Mom und legte die Arme um Bobby und mich.
Später – Mom, Bobby und ich saßen gerade beim Kaffee – kamen Quentin und Joshua in die Küche.
»Hey, entschuldigt die Störung. Vielleicht habt ihr Lust, jetzt eure Videobotschaft aufzunehmen?« Quentin unterbrach sich und sah Bobby an. »Was ist mit dir? Wäre doch gut, wenn du auch auf dem Video zu Wort kommst.«
Bobby senkte den Blick. »Ich will nicht darüber reden.«
Quentin sah nicht so aus, als würde er sich so schnell abwimmeln lassen. »Ist schon in Ordnung, mein Schatz«, sagte Mom schnell. »Gehen wir nach draußen. Du brauchst etwas frische Luft.« Sie lächelte mir ermutigend zu und ging mit Bobby zum Volleyballspiel.
Quentin runzelte die Stirn. »Ich finde, er sollte auf dem Video sein.«
»Lass es«, sagte Joshua und legte einen Arm um mich. »Also, wo wollen wir drehen?«
»Wie wär’s mit dem Friedhof?«, schlug ich vor und führte sie nach draußen.
Ich sank neben dem Grab meines Dads auf die Knie. So konnte er auch Teil des Videos sein und die Menschen jenseits des Zauns würden möglicherweise besser verstehen, wie viel wir bereits verloren hatten. Ich berührte das Holzkreuz und erinnerte mich an Dads gütiges Lächeln. Mein Vater war nicht mehr da. Er war tot. Wie ich so dasaß und das Kreuz anstarrte, spürte ich, wie die Wut in mir aufstieg.
Die Regierung hatte uns verraten und verkauft. Als Konsequenz ihrer Handlungen war die Welt so verkommen, dass mich mein eigener Vater angegriffen hatte. Da begriff ich mit einem Mal die Wahrheit in ihrer ganzen Brutalität. Sie ließen mir keine Wahl. Es war ihre Schuld, dass ich gezwungen gewesen war, meinen Vater zu töten. In diesem Moment hasste ich nichts mehr als die Menschen, die für all dies verantwortlich waren. Ich schwor mir, es ihnen um jeden Preis heimzuzahlen.
Ich sah auf, bereit zu sprechen. Da bemerkte ich, dass das rote Licht des Camcorders blinkte. Quentin filmte bereits.
Ich räusperte mich und sah in die Kamera.
»Mein Name ist Sherry. Ich bin fünfzehn Jahre alt und habe 1 141 Tage mit meiner Familie in einem Bunker verbracht. Wir haben darauf gewartet, dass die Regierung Entwarnung gibt. Hat sie aber nie getan. Und dann ging uns das Essen aus.«
Ich holte tief Luft. Jetzt kam der schwierigste Teil.
»Mein Dad
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