Themba
auf den Weg zur Frau des Ladenbesitzers macht. Gut drei Stunden später hält der klapprige Lieferwagen, von dem Mutter uns schon erzählt hat, vor unserem Garten. Zuerst steigt Mutter aus, dann eine schlanke Frau mit kurzen blonden Haaren und schließlich ein weißer Junge in meinem Alter.
»Das sind Mrs Steyn und ihr Sohn Andries«, sagt Mutter auf Englisch.
Wir nicken uns unsicher zu, und Andries sagt: »Andy - ich heiße Andy!«
» Molweni - guten Tag«, sagt Mrs Steyn auf Xhosa. »Ich habe ein paar Worte gelernt, als ich noch in der Tagesklinik gearbeitet habe, aber leider das meiste inzwischen vergessen.«
Dann gehen wir alle ins Haus, und es ist zu sehen, dass Onkel Luthando angesichts der großen Delegation erschrickt. Fragend schaut er Mutter an, doch bevor sie etwas erklären kann, sagt Mrs Steyn: »Ich weiß, dass Sie einen Unfall hatten. Ich bin keine Ärztin, war nur früher mal Krankenschwester und habe mit meinem Mann heute den Laden an der Autostraße, erinnern Sie sich?« Langsam scheint es bei Onkel Luthando zu klingeln. Er lächelt sogar ein wenig und sagt leise: »Ja, danke.«
Dann werden wir alle von Mama Zanele und Mrs Steyn hinausgeschickt, damit die beiden den Onkel in Ruhe untersuchen können. Draußen haben sich inzwischen mehrere Nachbarinnen und einige Kinder versammelt, die den Lieferwagen haben vorfahren sehen. Eine fragt Mama flüsternd, aber doch laut genug, dass es alle hören können:
»Ist er tot?«
Mutter schüttelt nur ärgerlich den Kopf.
Nomtha und ich stehen zufällig neben dem weißen Jungen. Ich sehe ein großes Pflaster auf seinem rechten Knie und frage: »Hattest du auch einen Unfall?«
Er schüttelt den Kopf und meint: »Das ist nichts. Ist beim Fußball passiert.« Dann fragt er mich: »Spielst du auch?«
Als ich nicke, fragt er weiter: »Im Verein?«
Erst sage ich: »Ja«, und denke stolz an all die Profi-Nachmittage mit Sipho. Dann muss ich lachen und antworte ehrlich: »Nicht richtig. Ein Freund und ich haben eine Art kleinen Verein gegründet.«
Jetzt scheint Andy wirklich interessiert: »Wie heißt der denn?«
»Mmh...«, winde ich mich ein wenig, »wir haben noch keinen Namen.« Um die Wahrheit zu sagen: Über einen Namen haben wir uns noch nie Gedanken gemacht. Aber vielleicht ist das ja eine gute Idee.
Bevor wir weiterreden können, geht die Tür wieder auf, und Mama Zanele und Mrs Steyn teilen uns und allen anderen neugierig Wartenden das Ergebnis ihrer Untersuchung mit: »Der Onkel hat gute Chancen, wenn es keine weiteren Infektionen gibt. Für den Moment ist alles in Ordnung. Sollte er aber erneut hohes Fieber bekommen, bleibt nur der Weg ins Krankenhaus.«
Als wir eine halbe Stunde später Mrs Steyn und Andy zu ihrem Lieferwagen begleiten, höre ich, wie Mrs Steyn Mama Zanele fragt, woher sie die guten Medikamente hat. Mama Zanele antwortet: »Die waren von meiner Tochter, die gestorben ist. Für sie waren die Medikamente leider nicht gut genug. Es gab auch damals schon bessere, aber die konnte ich nicht bekommen...«
Da fragt Mrs Steyn so direkt, wie wir das niemals tun würden, nach: »Ach, woran ist Ihre Tochter denn gestorben?«
Jeder hier weiß, dass Mama Zaneles Tochter an einer schweren Lungenentzündung gestorben ist, als sie Mitte zwanzig war. Wir alle waren damals auf der Beerdigung. Mama Zanele, die direkt vor mir geht, bleibt für einen Moment stehen, holt tief Luft und dreht sich dann sogar um, sodass es alle hören können: »Meine Nomalinde ist an AIDS gestorben, an AIDS, Mrs Steyn - kein Unfall! Die Lungenentzündung hatte nur eine Ursache: AIDS!«
Mrs Steyn legt einen Arm um Mama Zaneles Schulter. Die ehemalige Heilerin und die ehemalige Krankenschwester... Einige der Nachbarinnen, die noch nicht nach Hause gegangen sind, schauen erschrocken zu Boden und gehen dann schweigend weiter, als hätten sie nichts gehört.
Ich habe das englische Wort AIDS schon öfter auf Plakaten in der Schule gesehen, und ich habe im Radio oder Fernsehen gehört, wie Menschen, die ich nicht kenne, es aussprechen. Mama Zanele ist der erste Mensch in meinem Leben, den ich gut kenne und der dieses Wort in den Mund nimmt.
Bevor Andy und seine Mutter abfahren, kurbelt er seine Scheibe runter und fragt: »Darf ich mal mitspielen in eurem Verein?«
Einen Tag vor meinem dreizehnten Geburtstag steht Onkel Luthando zum ersten Mal allein wieder auf. Das Schlimmste scheint überstanden, auch wenn er noch immer Schmerzen hat und viel dünner geworden ist.
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